156 ERWIN PANOFSKY.
c.
So sind denn die problemformulierenden Grund- und Spezialbegriffe
der Kunsttheorie zugleich die Leitbegriffe der empirisch beobachtenden
Kunstgeschichte und die Arbeits begriffe jener »interpretierenden« Be-
trachtungsweise, die sich auf die Erkenntnis des Kunstwollens richtet.
Darum hat nicht nur die Kunsttheorie ein Interesse an dem immer rüstige-
ren Fortschreiten der Tatsachenforschung, ohne deren Anschauungen ihre
Begriffe, kantisch zu reden, »leer« sind, sondern es hat auch die Tat-
sachenforschung ein Interesse an der immer vorurteilsfreieren und konse-
quenteren Ausgestaltung der Kunsttheorie, ohne deren Begriffe ihre An-
schauungen »blind« wären; und letzten Endes müssen sich beide (am
besten in der gleichen Person) zu gemeinsamer Arbeit zusammenfinden.
Diese funktionale Wechselbeziehung wird schon durch einen Blick
auf die Entwicklung unserer Wissenschaft bestätigt: der Forscher, bei
dem zum ersten Male eine bewußt stilgeschichtliche Fragestellung be-
gegnet, Johann Joachim Winckelmann, hat sich (von seiner Beziehung zur
deutschen und englischen Ästhetik ganz abgesehen) genötigt gefunden,
seine Geschichte der alten Kunst nach theoretisch-systematischen
Gesichtspunkten zu orientieren, deren Erörterung den Gang seiner
historischen Darstellung, nur scheinbar willkürlich, beständig unter-
bricht, und es ist kein Zufall, wenn derselbe Rumohr, in dem wir mit
Recht den Begründer der »Kunstgeschichte als Fachwissenschaft« ver-
ehren, zugleich als erster den Versuch unternommen hat, sich ein System
der künstlerischen Probleme zurechtzulegen — in jenem merkwürdigen
Einleitungsabschnitt der Italienischen Forschungen, für den er nicht
ohne Absicht den Titel »der Haushalt der Kunst« wählte, und den
wir nicht als ein überflüssiges Anhängsel, sondern als ein notwendiges
Korrelat seiner geschichtlichen Untersuchung zu betrachten haben. Der
heutige Kunsthistoriker, der sich seine Begriffe nicht immer selbst zu
erarbeiten braucht, wird vielfach darauf verzichten, in eigener Person
eine solche theoretische Konstruktion zu unternehmen; allein das schließt
nicht aus, daß auch er — bewußt oder unbewußt — auf ihre Ergeb-
nisse Bezug nimmt, und daß auch in der Gegenwart das Vorgehen
und die Begriffsbildung selbst der empirischsten Kunstgeschichte von
kunsttheoretischen Gedankengängen bestimmt wird.
ailiologische, das die eine aus der anderen ursächlich ableiten will, wobei es
denn leicht dazu kommen kann, daß der eine Autor den Barockstil auf die Gegen-
reformation zurückführt, während der zweite die Gegenreformation aus dem Barock-
stil erklärt und der dritte jegliche Beziehung zwischen dem einen und dem anderen
bestreitet. Vgl. die mir erst nach der Drucklegung bekannt gewordene Arbeit von
K.Mannheim, Beiträge zur Theorie der Weltanschauungsinterpretation, Jahrb. f.
Kunstgeschichte I (XV), 1923, S. 236.
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So sind denn die problemformulierenden Grund- und Spezialbegriffe
der Kunsttheorie zugleich die Leitbegriffe der empirisch beobachtenden
Kunstgeschichte und die Arbeits begriffe jener »interpretierenden« Be-
trachtungsweise, die sich auf die Erkenntnis des Kunstwollens richtet.
Darum hat nicht nur die Kunsttheorie ein Interesse an dem immer rüstige-
ren Fortschreiten der Tatsachenforschung, ohne deren Anschauungen ihre
Begriffe, kantisch zu reden, »leer« sind, sondern es hat auch die Tat-
sachenforschung ein Interesse an der immer vorurteilsfreieren und konse-
quenteren Ausgestaltung der Kunsttheorie, ohne deren Begriffe ihre An-
schauungen »blind« wären; und letzten Endes müssen sich beide (am
besten in der gleichen Person) zu gemeinsamer Arbeit zusammenfinden.
Diese funktionale Wechselbeziehung wird schon durch einen Blick
auf die Entwicklung unserer Wissenschaft bestätigt: der Forscher, bei
dem zum ersten Male eine bewußt stilgeschichtliche Fragestellung be-
gegnet, Johann Joachim Winckelmann, hat sich (von seiner Beziehung zur
deutschen und englischen Ästhetik ganz abgesehen) genötigt gefunden,
seine Geschichte der alten Kunst nach theoretisch-systematischen
Gesichtspunkten zu orientieren, deren Erörterung den Gang seiner
historischen Darstellung, nur scheinbar willkürlich, beständig unter-
bricht, und es ist kein Zufall, wenn derselbe Rumohr, in dem wir mit
Recht den Begründer der »Kunstgeschichte als Fachwissenschaft« ver-
ehren, zugleich als erster den Versuch unternommen hat, sich ein System
der künstlerischen Probleme zurechtzulegen — in jenem merkwürdigen
Einleitungsabschnitt der Italienischen Forschungen, für den er nicht
ohne Absicht den Titel »der Haushalt der Kunst« wählte, und den
wir nicht als ein überflüssiges Anhängsel, sondern als ein notwendiges
Korrelat seiner geschichtlichen Untersuchung zu betrachten haben. Der
heutige Kunsthistoriker, der sich seine Begriffe nicht immer selbst zu
erarbeiten braucht, wird vielfach darauf verzichten, in eigener Person
eine solche theoretische Konstruktion zu unternehmen; allein das schließt
nicht aus, daß auch er — bewußt oder unbewußt — auf ihre Ergeb-
nisse Bezug nimmt, und daß auch in der Gegenwart das Vorgehen
und die Begriffsbildung selbst der empirischsten Kunstgeschichte von
kunsttheoretischen Gedankengängen bestimmt wird.
ailiologische, das die eine aus der anderen ursächlich ableiten will, wobei es
denn leicht dazu kommen kann, daß der eine Autor den Barockstil auf die Gegen-
reformation zurückführt, während der zweite die Gegenreformation aus dem Barock-
stil erklärt und der dritte jegliche Beziehung zwischen dem einen und dem anderen
bestreitet. Vgl. die mir erst nach der Drucklegung bekannt gewordene Arbeit von
K.Mannheim, Beiträge zur Theorie der Weltanschauungsinterpretation, Jahrb. f.
Kunstgeschichte I (XV), 1923, S. 236.