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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

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Panofsky, Erwin: Über das Verhältnis der Kunstgeschichte zur Kunsttheorie
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https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0164

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ÜBER DAS VERHÄLTNIS DER KUNSTGESCHICHTE ZUR KUNSTTHEORIE. 161

Damit soll nun aber — das sei ausdrücklich hinzugesetzt, um ein
Mißverständnis nach der entgegengesetzten Seite hin abzuwehren —
durchaus nicht etwa behauptet werden, daß die zeitliche Abfolge der
künstlerischen Erscheinungen dem reinen Zufall unterworfen sei. Denn
wenn die bedingende Wirkung der historischen Umstände die Berechen-
barkeit der künstlerischen Entwicklung ausschließt, so involviert das
Gesetzt-Sein apriorischer Probleme ihre Folgerichtigkeit: wir alle sind
ja darüber einig, daß ein bestimmter »Stil« weder aus jedem beliebigen
anderen hervorgehen, noch umgekehrt durch jeden beliebigen anderen
abgelöst werden kann, da jedes künstlerische Phänomen nur ganz be-
stimmte Entwicklungs-Möglichkeiten in sich trägt. Das Wirklich-Werden
dieser Möglichkeiten wird zwar durch schlechthin unvorhersehbare Um-
stände bestimmt — so daß z. B. die Gandharakunst, die Kunst der Sassa-
niden, die Kunst von Byzanz und die Kunst des frühen nordischen Mittel-
alters zwar sämtlich ihren gemeinsamen Ursprung aus der späten Antike
zu erkennen geben, ihre besondere Ausprägung aber durchaus indivi-
duellen und daher in keiner Weise präjudizierbaren Momenten verdanken
— allein gleichwohl vermögen wir die Entwicklung, die von der späten
Antike zu jenen besonderen Stilen geführt hat, insoweit als eine sinn-
volle einzusehen, als wir zum einen das künstlerische Wesen der späten
Antike, zum anderen jene unendliche Vielheit von Abwandlungsfaktoren
erkennen können (die freilich stets nur ex post und niemals vollständig
erfaßbar sein werden); wir befinden uns also bei der Untersuchung von
»Entwicklungen« zwar nicht in einer Sphäre der »Notwendigkeit«, wohl
aber in einer Sphäre der »Folgerichtigkeit« oder »Sinngemäßheit«:
die Abfolge der einzelnen künstlerischen Erscheinungen kann nicht im
Sinn einer kausalen oder teleologischen Reihe deduziert, wohl aber im
Sinne eines Zusammenwirkens von allgemeinen Entwicklungstendenzen
und individuellen Abwandlungsmomenten begriffen werden.

zurückzuweisen — jene Lehre, wonach die »optische« (formale) Stilentwicklung
von der imitativen (inhaltlichen) vollkommen unabhängig sei. Was ich behauptete
und noch behaupte, ist, daß »Form« und »Inhalt« innerhalb jedes künstlerischen
Phänomens, vom Zeit- oder Volksstil bis zu der Erscheinung des einzelnen Kunst-
werks herab, nicht von einander abgesondert werden können, sondern daß auch
sie als die »verschiedenen Äußerungen einer gemeinsamen Orundtendenz<, eines
gemeinsamen »Sinnes«, erfaßt werden müssen. Nur um diese Behauptung zu
rechtfertigen, habe ich darzutun versucht, daß auch der formalen Entwicklung vom
Plastischen zum Malerischen — gleichviel, ob sie nun eine »gesetzmäßige« oder eine
bloß »regelmäßige« ist — eine analoge inhaltliche Entwicklung (etwa von der
Historienmalerei zu Landschaft und Stilleben) parallelgehen müsse — daß wir, in
meiner Terminologie ausgedrückt, die Tatsachen »malerisch« und »Landschaftsdarstel-
lung« ebenso als Ausdruck eines gemeinsamen »Sinnes« zu verstehen haben, wie
die Tatsachen »plastisch« und »Historienmalerei«.

Zeitsclir. f. Ästhetik u. alle. Kunstwissenschaft. XVIII. 11
 
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