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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

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Heilbronn, Magda: Über eine architektonische Gesetzlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0166

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ÜBER EINE ARCHITEKTONISCHE GESETZLICHKEIT. 163

dend gegenüber der sichtbaren Welt, der Theoretiker aber gesetzlich
denkend gegenüber dem Wirkungsbereich des Geformten.

Dennoch wird der Künstler von Zeit zu Zeit, das Sonderfeld seiner
Aktivität verlassend, auslenkend aus der eigenen Bahn, dem Werk sich
entgegenstellen und von der anderen Seite den Sinn seiner Wirkung
zu fassen suchen. Und auch der Theoretiker wird, von der Art seines
Denkens auf Augenblicke entbunden, bei gewechseltem Standpunkt aus
dem Geschehnis der Bildung her vom Werk einen Aufschluß erlangen.

Diese geistige Verschränkung zweier menschlicher Fähigkeiten, die
hier — der leichteren Darstellung wegen — als in getrennten Indivi-
duen vorhanden gesetzt sind, deren gepaartes Dasein aber auch im
Einzelnen denkbar wäre, hat einen Wechselbezug zur Folge, der über
das Nebeneinander des bloßen Bestandes hinaus als ein Ineinander
der Befugnisse sich erweist: Nur dessen Wort hat für den Künstler
Bedeutung, der die volle Wirkung gedanklich zu meistern vermag; und
nur von der größten Klarheit gebildeter Form kann der Denkende
dulden, daß sie entscheidend einspricht in seinen Begriff.

Wie der bildende Künstler aus der zugänglichen Gesamtheit der
Welt nach kritischer Sichtung nur jenen Zustand der Dinge zum Eigen-
tum nimmt, mit welchem ihre Erscheinung durch das Auge ihm sinn-
lich faßbar wird, so sondert der Theoretiker wieder aus den möglichen
Wirkungsweisen der Kunst jene einzige für sich aus, die im geraden
Verfolg des treibenden Bildungswillens die formale Gesetzlichkeit der
Werke bewußt macht. So erfragt er bei der Architektur nur die ge-
regelte Form, in welcher sich die architektonische Bildungskraft offenbart.

Mannigfaltigkeit, Verschiedenheit und Gegensätzlichkeit der er-
schaffenen Formen einer einzigen Kunst zwingen zur Besinnung über
die Ursachen der Differenz und über die Gründe der Zusammen-
gehörigkeit. Führt die erste Überlegung in die zentrifugalen Bahnen
der möglichen Erfindung, auf denen der menschliche Geist, vom Zen-
trum einer künstlerischen Begabung aus, seine Bewegungsfreiheit er-
probt, so lenkt die zweite Betrachtung von allen Seiten her zu diesem
geistigen Mittelpunkte zurück und drängt die Erkenntnis auf ein künst-
lerisches Grundgesetz als Ursache alles architektonischen Handelns
zusammen. Rein formal ließe sich dieser letztere Denkprozeß als eine
Analyse der vorhandenen baulichen Formen mit anschließender Syn-
these der wenigen allen gemeinsamen Eigenschaften und ihrer Erhebung
zu architektonischen Grundgesetzen an sich ohne logischen Fehler voll-
ziehen. Aber dieses Verfahren würde trotz seiner logischen Korrekt-
heit einer höheren philosophischen Gewißheit1) entbehren. Es ist einer

') Vgl. Kants Gegenüberstellung nur logischer (dialektischer) Urteile und syn-
 
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