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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

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Kainz, Friedrich: Zur dichterischen Sprachgestaltung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0209

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206 FRIEDRICH KAINZ.

stimmte Vorstellung fesselt den Redner, ein Gedanke hypnotisiert ihn.
Dieser Stil der stammelnden Häufung und Wiederholung ist eines von
den Symbolen der Leidenschaftlichkeit um jeden Preis. »Es ist mehr
ein Fluchen, Heulen, Schreien, Stampfen, Stöhnen als ein normales
Sprechen.« Ein abgerissenes Stammeln, ein Dahinrasen in Anakoluthen,
Ellipsen, Aposiopesen, Parataxen, barockgeschwellten Häufungen, leiden-
schaftlichen Ausrufen. Otto II, 3: »Alte: Blutst, Mann, blutst (Epizeu-
xis). Die Sonne zieht Regen, wird bald Blut (Annominatio) saugen.
Otto: Blutst! Blutst! rast die Hexe? Blutst... Blutst! Blutst! sagt die
alte Hexe. Komm Horst, teuflischer Gaul — hink, hink, hink, du
Bestie!« Der gesteigerte, hypertrophe Stil des Sturmes und Dranges
ist hier ganz deutlich.

Starke Häufung von Klangfiguren findet sich auch in Bürgers
»Lenpre«, doch bleibt der Kraftaufwand ziemlich äußerlich. Schiller
bemerkt dazu, daß es für den Dichter nicht genüge, die Empfindung
mit gesteigerten Farben zu schildern, er müsse auch erhöht empfinden.
Es ließe sich demnach auch hinsichtlich der sprachlichen Gestaltung
die Scheidung zwischen äußerlicher Häufung (materieller Intensivie-
rung) und einer organisch notwendigen, organisch sich ergebenden
inneren Steigerung durchführen.

Häufung (Perissologie): Hier kommt es darauf an, einen als
wichtig gefühlten Begriff durch möglichst viele Vertreter anschaulich
und eindringlich zu machen: Hervorhebung einer Vorstellung durch
Anführung mehrerer synonymer Ausdrücke. Stilistische Häufung ist
charakteristisch für die naive Kraftfülle der vorreformatorischen Periode
(Priamel), für Fischarts Prahlen mit eigener Sprachgewandtheit und
dem Reichtum der Muttersprache, aber auch für die Barockdichtung.
Der naturalistische Dichter häuft ebenfalls (z. B. derb charakteristische
Ausdrücke) in einer Weise, die im Alltagssprachgebrauch ganz unge-
wöhnlich wäre. Die Häufung ist wie die Hyperbel ein Hauptwirkungs-
mittel des rhetorischen Pathos. Während die Hyperbel die einzelne
Vorstellung, auf die es ankommt, über die Wirklichkeit hinaus erhebt,
steigert die Häufung dadurch, daß sie an Stelle eines einzigen Begriffes
einen hypertrophen Komplex von Vorstellungen gibt, dessen einzelne
Glieder zumeist selbst bereits gesteigert sind.

Beispiele: Fischart, Geschichtklitterung (Gargantua)x): »Ir meine
Schlampampische gute Schlucker, kurtzweilige Stall- vnd Tafelbrüder:
jhr Schlaftrunckene wolbesoffene Kautzen vnd Schnautzhän. jhr Land-
kündige vnd Landschlindige Wein Verderber vnd Banckbuben: Ir

') J. Fischart, Geschichtklitterung, herausgegeb. von A. Alsleben (Neudrucke
deutscher Literaturvverke des 16. und 17. Jahrhunderts Bd. 68—71) S. 15.
 
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