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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

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Kainz, Friedrich: Zur dichterischen Sprachgestaltung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0219

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216 FRIEDRICH KAINZ.

nur eine Aufforderung für den Schauspieler ist, sich seines urwüchsigen
bayrisch-österreichischen Dialektes zu bedienen. Die sprachliche Fixie-
rung, wie sie der Dichter gibt, will als solche keinen Eigenwert haben.
Seine Werke sind zur Aufführung bestimmt, keine Lesedramen. Der
Schauspieler hat also aus Eigenem manches zu ergänzen. Man wird
daher Anzengrubers Dialekt trotz der offensichtlichen Stilisierung nicht
in diese Gruppe ziehen können.

II. Dieser Verwendung des Dialekts steht dessen Gebrauch im
naturalistischen Sinn gegenüber. Möglichste Erreichung des Wirklich-
keitszustandes ist angestrebt. Gleichwohl findet sich auch hier eine
Steigerung, jene, die für den Naturalismus überhaupt charakteristisch
ist. Der Naturalismus häuft, übertreibt das Charakteristische des Dia-
lekts, um möglichste Wirklichkeitsillusion hervorzubringen. Eine ver-
kehrssprachliche Milderung, die heute im wirklichen Leben fast überall,
auch in Gebieten des reinsten Dialekts, anzutreffen ist, fehlt durchaus.
Provinzialismen, Idiotismen werden gehäuft, charakteristische Eigentüm-
lichkeiten des Dialektsprachgebrauchs (Anakoluthe, Construction.es kata
synesin, Inversionen) in einer Weise verwendet, die über den wirk-
lichen Sprachgebrauch hinausgeht. Derbbezeichnende Worte, Kraft-
ausdrücke werden bevorzugt. Obwohl also der Naturalismus den
Dialekt durchaus im Sinne eines realistischen Elements nicht nur formal
(grammatisch-stilistisch), sondern auch in seinem Ethos richtig ge-
braucht, findet sich doch auch hier eine Steigerung, die der Übertreibung.

Das führt uns zur chargierten Sprache. Diese Übertreibung
des von der Norm Abweichenden, Charakteristischen wird in betont
starkem Maß vorgenommen, wenn dadurch eine besondere Wirkung
(satirische, komische) erzielt werden soll. Die Chargenfiguren des
Triviallustspieles (der Böhme, der Jude usw.) »outrieren« eine bestimmte
Sprechweise. Eine solche chargierte Sprache findet sich in den »Epi-
stolis obscurorum virorum«. Das eigentlich komische Element liegt
hier nicht in einer mimischen Verspottung des Mönchslateins (denn
auch das gesprochene Latein der Humanisten war nicht wesentlich
besser), sondern darin, daß eine nur für den mündlichen Gebrauch
bestimmte Sprachform schriftlich verwendet wurde, und zwar in einer
die Eigentümlichkeiten übertreibenden Weise, wodurch natürlich stärkste
komische Unangemessenheiten erzielt werden. Ganz Ähnliches sehen
wir bei Thoma in den »Lausbubengeschichten« und bei deren Nach-
ahmungen, den Aufsätzen des »Poldi Huber« von Homunkulus-Weil.
Auch hier wird ein Sprechjargon literarisch fixiert, anscheinend getreu,
tatsächlich aber in stärkster Übertreibung, die die komische Unange-
messenheit noch stärker hervorheben soll. Namentlich Weil gefällt
sich in unendlicher Häufung gewisser spezifisch Wienerischer Solözis-
 
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