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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

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Verweyen, Johannes Maria: Soziologie der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0233

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230 BEMERKUNGEN.

begriff, dessen Umfang nicht etwa auf das »arbeitende« Volk eingeengt bleibt.
Volkstümliches »populäres« und laienhaftes Verstehen wie Vermitteln künstlerischer
Werte decken sich in allen sozialen Schichten. Der auf seinem Gebiet ausgezeich-
nete Gelehrte kann von den Dingen der Kunst weniger begreifen, in diesem Sinne
also mehr zum Volk zählen als ein fein organisierter Handarbeiter, zumal vom Range
eines Hans Sachs, oder eines Heinrich Lersch, des Kesselschmiedes.

Schließlich bleibt auch im Reiche der Kunst wirkliches Kennertum eine Ange-
legenheit Weniger, an Sachverständnis geknüpft und trägt insofern einen »aristo-
kratischen« Charakter, wie jede Hochleistung des geistigen Menschen. Solche Fest-
stellung widerstreitet nicht der recht verstandenen »Sozialisierung« der Kunst im
Sinne höchstmöglicher Vermittlung dieser Kulturgebiete an das »Volk« — in allen
Schichten, aber sie gemahnt an die Grenzen ihres Zieles und der Wege zu seiner
Verwirklichung.

Der Einzelne denkt und forscht, entdeckt und erfindet. Der Einzelne führt den
Pinsel und Notenstift, schafft als Bildhauer und Dichter. Das schöpferische Indi-
viduum, mit wieviel Fäden es immer an die Umwelt geknüpft sein mag, bleibt
auch in seiner kulturellen Tätigkeit unersetzbar durch Gemeinschaft und Gesellschaft.

Freilegung individueller Kräfte durch geeignete äußere Entwicklungsbedingungen
ist die wichtige, aber auch einzige Hilfe, welche die Allgemeinheit dem Einzelnen
zuteil werden lassen kann: Hilfe zur Selbsthilfe, wie an vielen anderen Punkten des
sozialen Daseins; Herstellung gewisser innerer Gleichheit durch Gewährung der
Bildungsmittel, der geistigen »Produktionsmittel«, damit die natürliche Ungleichheit
an den Tag kommen und sich auswirken kann, was an »schlummernden Kräften
des Proletariats« nach Entfaltung drängt.
 
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