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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

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Herrmann, Helene: Studien zu Heinrich von Kleist
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https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0277

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274 HELENE HERRMANN.

Im Aufbau der Handlung mehr als in etwas anderem ist diese
Bewegung faßbar, ja, sie ist dieser Aufbau, ist diese Aktionsfolge.
Allein, da ja die Sprache, der eigentliche Lebensgrund aller dichte-
rischen Schaffung, bereits die innerste Gespanntheit jedes Gebildes
offenbart, so ergreift diese wohl auch, wer ins Gewebe der Sprache faßt,
wer Bilder, Gleichnisse, Motive als Ausdruck anschaut. Mancher Ver-
such derart ist schön belohnt gewesen. Was Kleist über sich hinaus
verzückte, ihn in .Qualen außer sich riß, davon konnte man im Leben
beherrschender Bilder und Gleichnisse aufspüren, die Substanz etwa
der Penthesileadichtung. Diese Bilder sah man wandern vom Brief in
die Dichtung, von einer Dichtung in die andere, sie helfen, einander
rufend, steigernd, verwandte Sprossen treibend, den Glutatem eines
Ganzen schaffen. Ja, die Behauptung schien kein zu großes Wagen,
sie seien zuweilen das zeitlich und innerlich Primäre, und so machten
sie aus sich Handlungsteile wachsen, deren Wildheit nichts sei als, in
körperliche Plastik verleibhaftet, die gleiche Leidenschaft, die im Bild
sich noch halb strömend bewegea).

') Siehe dazu besonders die Studie von Berth. Schulze, Kleists Penthesilea
oder von der lebendigen Form der Dichtung, Leipzig 1912, namentlich S. 10/11, 21,
29—31, 36. Sie regt, eigen in ihren Gedankengängen, Fragen die Fülle an, ist
aber nicht befriedigend in der letzten Lösung. Denn ihr Ausgangspunkt ist die bio-
graphisch zweifellos richtige, für das Verständnis des fertigen Werkes aber nicht
ausreichende Anschauung, Penthesilea sei vor allem das dramatische Symbol des
im Guiscard verkörperten Strebens und des vergeblichen Ringens um dieses Werk.
Schulze versucht diese Meinung zu stärken, einen Weg einschlagend, der durch die
innere Form der Dichtung führt. So berührt sich seine Betrachtung oft mit der
unseren, doch Verschiedenheit des Ausgangspunktes und des Zieles geben immer
wieder andere Richtung. Schulze sucht die Gleichnisse auf, die sich, immer wieder-
kehrend und stets neu variiert, als beherrschende erweisen, in denen Seelengehalt
des Gedichts sich verdichtet hat, vor der Konzeption der äußeren Fabel; er nennt
sie »uranfängliche« gegenüber denen, die nur Einzelwallungen verdichten. All
diese Grundsymbole des einen Dramas erweisen sich dem nur zu seinem eigent-
lichen Ziel Vorschreitenden als Bilder der Dichterseele selber, besonders in der
Periode des Guiscardringens und der Zeit unmittelbar danach. Damit ist ihm die
Penthesilea als Ausdruck dieser Verzückungen und Qualen erwiesen. Dies sucht
er, oft glücklich, nicht immer überzeugend und nicht ohne Gewaltsamkeit, an Briefen
Kleists darzutun. Zu seinen besten Funden gehört der Nachweis, daß im Brief
an Pfuel vom 7. Januar 1805 das Bild des Wagenrennens steht, das, ganz aus Pen-
thesileastimmung geboren, in diesem Werke gewisse Handlungsteile miterzeugen
half (2. und 3. Szene), die die Fabel zu schaffen schon nahelegte. Seltsamerweise
will er jedoch gerade dies Gleichnis nicht zu den »uranfänglichen« rechnen, als
enthielte es nicht wie das »Sternen-«, das »Höhengleichnis«, das »Erntebild« von
der eigentlichen Substanz der Dichtung. Hier trennen wir uns entschieden von ihm,
und zwar, weil uns, die wir nach der formalen Gesamtspannung des Kleistischen
Heldendramas fragen, gerade dieses Gleichnis aufs tiefste verwandt scheint mit der
inneren Form. Was Schulze sich selbst einwendet: die Amazonenfabel an sich und
 
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