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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

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Sommer, Kurt: Über Gruppierung der Gestalten im Drama
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https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0333

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330 KURT SOMMER.

in die Trauerspielform mit dem Augenblick, wo die Zentralgestalt
verschwindetI).

Die Möglichkeit, daß der Held im Trauerspiel Zentralgestalt des
Ringes ist, besteht hiernach offenbar nicht. Er kann jedoch in eine
zentrale Stellung, die unserem tragischen Interesse an ihm entspricht,
gerückt werden dadurch, daß die Ringgruppe zum Ringstern, bezie-
hungsweise Doppelstern, erweitert wird. Vielfach verliert dann die Ring-
bildung als solche an Bedeutung gegenüber der Sternbildung; sie kann
zur Nebensache werden, ja der Dichter kann auch darüber noch hin-
ausgehen, indem er die Ringform ganz fallen läßt und die Gestalten-
welt ganz als Sterngruppe um den Helden aufbaut. Damit löst er aber
schon die dramatische Form auf; denn er verzichtet auf die in sich
geschlossene dramatische Handlung. Ein Stück, dessen Personenkreis
nur als Sterngruppe angelegt ist, kann vor allem kein »Trauerspiel«
im obigen Sinne werden. Der Gegensatz von S und G, der das Drama
macht, verschwindet als solcher; S und G sind nur noch entgegen-
gesetzte Spiegelungen des Helden. Nur im Innern des Helden stehen
die feindlichen Mächte gegeneinander auf; außen, in seiner Umgebung,
geraten sie nicht in unerbittlichen Kampf. Alle die übrigen Personen
sind dem Helden untergeordnet und nur dazu da, ihn zu spiegeln.
Es ist, als lebten sie alle nur um seinetwillen, als hätte er diese ganze
Gestaltenwelt aus sich herausgeboren. Das Drama, die Darstellung
einer Handlung, eines Kampfes, geht über in ein »Gemälde«2), die
Darstellung eines bewegten Menscheninnern. Ein Beispiel dieses Ver-
fahrens bietet Schillers »Jungfrau von Orleans<:. Damit sind die Ab-
wandlungsmöglichkeiten der Gruppenbildung zwischen den Grund-
formen ^ing und Stern3) erschöpft.

') Diese Feststellung hat zunächst nur für den Bereich des ernsten Dramas
Gültigkeit; das Lustspiel erfordert eine eigene Betrachtung für sich.

2) Ich wähle den Ausdruck im Anschluß an Schillers Sprachgebrauch.

3) Daß es einen solchen Formunterschied auch auf dem Gebiete der Roman-
technik gibt, geht aus den Untersuchungen Seufferts über die Gestaltenkreise von
»Soll und Haben«; (Ring) und des :>Grünen Heinrich« (Stern) hervor.
 
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