Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

DOI Artikel:
Herrmann, Gustav: Verlust und Wiederkehr der künstlerischen Farbenausdrucksfähigkeit während einer akuten Geistesstörung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0335

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
332 GEORG HERRMANN.

Der Fall, über den ich berichten will, ist folgender:

Herr H., von Beruf akademischer Maler, 28 Jahre alt, stand vom
17. Februar 1922 bis 21. Juni 1922 in Behandlung der hiesigen Klinik.
Schon seit Januar d. J. in leichter Erregung, steigerte sich der Zustand
im Februar, er kam mit Behörden in Konflikt, so daß er von einem
seiner Kollegen zur Klinik gebracht werden mußte. Hier war er zeit-
weise sehr erregt. Klinisch und serologisch handelte es sich um eine
progressive Taboparalyse und zwar um die initiale manische Phase1).

Wenn auch diese Krankheitsform im allgemeinen zur Beurteilung
des »bildnerischen Schaffens der Geisteskranken«2) am wenigsten ge-
eignet erscheint, so ist doch der vorliegende Fall aus anderen Gründen
und wegen seiner geringen Schwere der Erkrankung und wegen seiner
psychischen Wiederherstellung von besonderem Interesse.

Ich will ganz kurz, um auch dem Nichtfachmann die Möglichkeit
des Verständnisses der folgenden Ausführungen zu gewähren, das
Krankheitsbild skizzieren:

Es bestand eine mangelnde Einsicht in die Situation, gehobene
Stimmung, Arbeitsdrang, schmutziges, unsauberes Äußeres, gelegent-
lich äußerst gereizte Stimmung mit Anfällen von Erregung, bei denen
jeder gütliche Zuspruch erfolglos war, dann wieder zeitweise ein
kindisches, fröhliches Benehmen, das allerdings teilweise seinem Cha-
rakter von früher her entsprach, zum Teil aber direkt einen dementen
Zug verriet. Gelegentlich traten Andeutungen von Größenideen auf, be-
sonders über den Wert seiner Skizzen, die er um mehrere Hundert Kronen
anbringen werde usw. Diese paralytische Charakterveränderung stand
in starkem Gegensatz zu seinem früheren kindlich-naiven bescheidenen
Wesen, das auch später bei seiner Wiederherstellung zutage trat.

Während der ganzen Zeit seines Aufenthaltes an der Klinik (mit
einer kurzen Unterbrechung, als er seiner Unruhe wegen auf der Un-
ruhigenabteilung war), skizzierte er sehr viel, beendete allerdings, be-
sonders während der Zeit seiner stärksten Erregung, sehr wenig. Aus
der großen Reihe von Skizzen und halbfertigen Entwürfen habe ich
nun unter Beihilfe des Herrn Prof. August Brömse (Akademie für
Graphik in Prag) fünf charakteristische Bilder ausgewählt, die als Test-
objekte für die einzelnen Perioden seines Schaffens gelten können.

') Lichtreaktion der Pupillen fehlend, geringer Tremor der Zunge, Romberg
angedeutet, P.S.R. und A.S.R. fehlend, geringe Hypotonie, keine Sprachstörung.
Lumbalpunktion: Zellen 11, N A und Pandy positiv, Wa R bis O 2 positiv, Hämo-
lysin positiv, Goldsol typische Kurve.

Die Behandlung erfolgte nach O. Fischer mit Phlogetan.

2) Prinzhorn, Z. f. d. g. N. u. Ps. 52, S. 307.

Prinzhorn, Bildnerei der Geisteskranken, Springer 1922.
 
Annotationen