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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

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Bertalanffy, Ludwig von: Expressionismus und Klassizismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0342

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EXPRESSIONISMUS UND KLASSIZISMUS. 339

Eindruck, aber kann ihn nicht schaffen. Gerade die Gegenüberstel-
lung expressionistischer Malerei mit der allerdings rein symbolischen
Kunst der Musik lehrt den Gegensatz beider kennen. Daß Musik ein
ästhetisches Erleben hoher Ordnung hervorrufen kann, beruht darauf,
daß sie sich an den »inneren Sinn« wendet, sie daher ungegenständ-
lich sein darf. Als Kunst des »inneren Sinnes« (wie Kant sagen
würde) eignet ihr Sukzessivität, welche durch ihren steten Wechsel
(Tonfolge) die starke Gefühlswirkung der symbolischen Elemente erst
möglich macht. Aber Malerei ist eine Kunst des Auges und des
»äußeren Sinnes«, — sie ist starr und räumlich, und der optische Sinn,
der äußere Sinn ist gegenständlich und findet volle Befriedigung nur
in der Verknüpfung der Vorstellungselemente zur sinnvollen Ordnung
einer objektiven Welt. Darum kann Musik ein außerordentliches, das
rein symbolische expressionistische Gemälde aber nur ein sehr
schwaches und untergeordnetes ästhetisches Erleben bedingen.

Man könnte nun — ungefähr im Sinne Worringers — einwenden:
auch die Kunst der Ornamentik ist undinglich und kann doch gelegent-
lich außerordentliche Expressivität besitzen. Aber gerade dieser Ein-
wand bestätigt unsere Anschauung. Gewiß, für die Ornamentik (und
auch für die Architektur, bei welcher aber noch mannigfache andere
ästhetische Momente mitspielen, vor allem die aus der Raumvorstel-
lung erwachsenden) mag das Worringersche Abstraktionsprinzip Gel-
tung besitzen. Hier ist wirklich Ungegenständlichkeit und dennoch
starke Gefühlswirkung gegeben. Aber genauere Untersuchung lehrt,
daß es hier wiederum — wie in der Musik — das Fortschreiten, die
Wiederholung, die Sukzessivität ist, der jenes starke Gefühlserlebnis
entspringt. Und niemand wird behaupten wollen, daß die Ornamentik
je die Gefühlstiefe der Musik erreichen könnte. Denn die Empfin-
dungen des Auges werden eo ipso auf eine objektive Welt ausgedeutet;
bei denen des Ohres ist das viel weniger der Fall. Daher ist es nur
logisch, daß die Kunst des Auges die der Erkenntnis einer objektiven
Welt sein wird, die Kunst des Ohres die der abstrakten Erfassung
des fühlenden Subjekts. Das Ornament, diese undingliche Kunst, die
Musik des Auges, wird also stets ein Mischprodukt sein müssen, eine
Übertragung dessen auf Raum und Auge, was eigentlich dem Ohre
und der Zeit eignet.

Man könnte etwa an die byzantinischen Mosaiken, an Hodlers
Parallelismus und ähnliche Erscheinungen denken, um die Mitwirkung
der ornamentalen Wiederholung und Sukzessivität im Tafelbilde zu
charakterisieren.

Also selbst unter Zugrundelegung des Worringerschen, naturflüch-
tigen Abstraktionsprinzipes, wie dieser es im Expressionismus fand,
 
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