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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

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Černaj, Emil: Zur Psychologie landläufiger Sprachästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0360

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ZUR PSYCHOLOGIE LANDLÄUFIGER SPRACHÄSTHETIK. 357

Unterbrechen desselben mit unmittelbar nachfolgender Erinnerung, jene
tastende, abwechselnd gerichtete Konzentration auf seine einzelnen
Momente und nicht zum mindesten die vergleichende Prüfung einer
und derselben Vorstellung unter dem Einfluß verschiedener sprach-
lichen Bezeichnungen, vermag uns darüber einige Klarheit zu ver-
schaffen. Darum aber kann auch die Aussage eines beliebigen Men-
schen über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein der besagten
Erscheinungen in seiner eigenen Seele keine befriedigende Entscheidung
herbeiführen. Denn etwas erleben und die Fähigkeit besitzen, über
die Art des Erlebnisses richtige Beobachtungen anzustellen, sind zwei
verschiedene Sachen.

Um aber auch im positiven Sinne die Behauptung zu stützen, daß
dem hier beigebrachten Erfahrungsmaterial, wenn nicht schon dem
besonderen Inhalte nach, so doch mit Rücksicht auf die ihm zugrunde-
liegende Funktion mehr als eine rein individuelle Bedeutung zukommen
dürfte, mag nunmehr auf zwei Tatsachen hingewiesen werden, deren
Verständnis unter diesem Gesichtspunkt nahegerückt wird.

In erster Linie ist es die abergläubische Furcht der Primitiven vor
gewissen Ausdrücken und der Glaube an die magische Bedeutung der
Worte in den Zaubersystemen verschiedenster Art. Bekannt ist zumal
die so komplizierte Buchstabenmystik der Kabbäla. Das Buch Jezirah
betrachtet »die Buchstaben, die Elemente des göttlichen Wortes, die
in der Luft eingezeichnet seien auf der Grenze der intellektuellen und
der physischen Welt, als die Basis der Weltseele und der gesamten
Schöpfung« (Überweg-Heinze, Gesch. d. Phil. II. 261. 9. Aufl.). Und
vielleicht gehört gerade in diesen Zusammenhang auch der Glaube so
vieler Völker, daß ihnen ihre Sprache von den Göttern geschenkt
worden sei. Denn in allen diesen Beispielen drängt sich die Tatsache
eines Erlebnisses vor, als ob es mit dem Zusammenhang zwischen
Objekt und Wort eine ganz besondere Bewandtnis hätte. Mit Hilfe
des Ausdrucks dringt man in das Wesen des Gegenstandes, man
kann ihn mit demselben fast physisch ergreifen, ja es erweckt geradezu
den Eindruck, als ob jener selbst aus dem Innern des Wortes heraus-
wachsen würde, sobald dieses mit dem entsprechenden Nachdruck
vorgebracht wird.

Zu diesen Merkwürdigkeiten ethnologischer Art kommt aber als
Zweites die Eigenart des sprachlichen Denkens hinzu, daß sich das-
selbe im allgemeinen, wenigstens stellenweise, ohne Zuhilfenahme der
Vorstellungen, bloß in der Beziehung der Worte zueinander abzuspielen
pflegt. Es ist aber kaum verständlich, wie der bloße Ausdruck für
eine Vorstellung oder einen Begriff einstehen könnte, wenn in ihm
nicht beides auf irgend eine Weise unmittelbar enthalten wäre. Aller-
 
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