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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

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Beenken, Hermann: Konsequenzen und Aufgaben der Stilanalyse
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https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0432

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KONSEQUENZEN UND AUFGABEN DER STILANALYSE. 429

Künstler vollzieht, und zwar durch eine Erforschung, die sich eben
an jenem Gedanken der Richtung, der Folgerichtigkeit zu orientieren
hat. Vor allem darf man sich nicht damit begnügen, nur benachbarte
Stile wesensmäßig zu scheiden: Gotik von Romanik und Spätgotik,
Barock von Renaissance und Romantik. Alles mit Allem vergleichen!
Warum nicht Reims mit Tel el Amarna, warum nicht einen Cezanne
mit einer karolingischen Miniatur? Diese der historischen Einstellung
völlig fernliegenden Aufgaben hat die Stilanalyse kommender Jahrzehnte
systematisch in Angriff zu nehmen. Und noch weitere: Ist Entwick-
lung von Künstler zu Künstler und in einem einzelnen Künstler in
den verschiedenen Zeiten etwas Gleiches? Sind die Differenzierungen
zwischen Persönlichkeit und Persönlichkeit in verschiedenen Zeiten von
gleicher Stufe? Man ist mit Antworten auf solche Fragen, die in-
timste Einzeluntersuchungen erfordern, heute nur zu rasch bei der
Hand.

Da eine Untersuchung des gesamten vorhandenen Materials eine
Aufgabe ist, die der Einzelne nicht bewältigen kann, so darf man
sich vorerst mit Stichproben, mit Analyse herausgegriffener Fälle allge-
meinerer Natur begnügen. Wie unterscheidet sich ein romanischer
Dom von einem ägyptischen Tempel einerseits, von einer Barockkirche
anderseits usw.? Schon solche Fragen, die sich jeder selber vorlegen
mag, werden bei genügender Reinheit der methodischen Einstellung
— etwa auf die pure räumliche Sichtbarkeit — zu wesentlichen Er-
gebnissen führen.

Zunächst zu dem Ergebnis, daß eine innere Folgerichtigkeit der
Gesamtentwicklung der Kunst jedenfalls im abendländischen Kultur-
kreise zweifellos besteht. Damit ist diese Entwicklung eine Einheit,
und nichts durch ein Absterben und Neuanfangen von Kulturen Zer-
trenntes, wie die zurzeit herrschende Meinung will. Es gibt also ein
stilistisches Etwas, durch das — kraß gesagt — eine erstarrte roma-
nische Figur des 12. Jahrhunderts innerlich zwischen einer hellenisti-
schen und einer barocken, durch das St. Michael in Hildesheim zwi-
schen den Caracallathermen und Vierzehnheiligen, eine ottonische
Miniatur zwischen den Odysseuslandschaften und einem Ruisdael
steht. Es ist allerdings nicht leicht, die Einstellung, die uns die
Dinge so geordnet sehen läßt, zu gewinnen. Sie will erarbeitet sein.
Haben wir sie aber erarbeitet, so werden wir die Gesetzmäßigkeit
des Auftretens der Stilerscheinungen im Zusammenhange mit der einen
großen Gesamtentwicklung in einem heute noch ungeahnten Grade
verstehen lernen.

Man wird mit Deskriptionen der allereinfachsten, gleichsam auf
der Hand liegenden Stilunterschiede zu beginnen, und die Analysen
 
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