432 HERMANN BEENKEN.
ganze ihr Problem hat, um dessen Bewältigung sie, sich Schritt für Schritt
vorwärtstastend, ringt, das der wirkungsmäßigen Gestaltung sehräum-
licher Orientierungsbeziehungen. Es gibt also nicht nur Einzelprobleme
mit endlichen sachhaltigen Zielsetzungen, an denen folgerichtige Ent-
wicklung leicht zu konstatieren ist, wie das der stehenden nackten
Figur in der griechischen Plastik oder das zugleich technische und
künstlerische materialsparender Raumüberwölbung, an dem die mittel-
alterliche Baukunst arbeitet. Immer greift mit diesen besonderen Pro-
blemen ein allgemeineres in eins, das alle abendländische Kunst-
betätigung eint und vergleichbar macht. Erst zu dem Verständnis
dieses Problems vorstoßend, begreifen wir den Sinn des Gesamt-
prozesses, begreifen wir auch die tiefliegenden Unterschiede der Kunst
anderer Kulturen zu der der unseren. Mag sein, daß die ostasiatische
Kunst ähnliche Probleme zu bewältigen versucht hat, der Weg, den
sie gegangen ist, war ein wesentlich anderer, ein minder unruhvoller,
minder krisenreicher zweifellos.
Wir greifen weiter aus. Der Mensch, der in der Fläche zeichnet
wie der Grieche und der Mensch, für den jede Linie, jede Fläche
hintergründig, unendlichkeitbezogen ist wie der moderne, sie müssen
auch in anderen Lebensbezügen ein nicht minder verschiedenes Ver-
halten aufweisen. Nicht nur das künstlerisch-räumliche Gestalten kann
in verschiedenen Dimensionen organisiert sein, sondern jedes schöpfe-
rische Leisten des Bewußtseins auchJ). Jeder Satz, jeder Gedanke
etwa Nietzsches besitzt für jedes Wort, jeden Begriff, eine Hinter-
gründigkeit und Vielfältigkeit der Beziehungen, von der keine ältere
Kultur sich träumen ließ. Wie unendlich eindeutig — und in seiner
Eindeutigkeit uns kaum mehr faßbar — ist antikes Denken! Es er-
wächst hier die Aufgabe, die Strukturen des »Denkstils« aller Kulturen
bloßzulegen, nicht psychologisch, sondern durch einfache phänome-
nologische Analyse dessen, was gemeint ist. Und dann vergleiche
man, was bei Sätzen vergleichbaren Inhalts in den verschiedenen
Epochen hier und dort gemeint ist, treibe Stilanalyse der Form des
Denkens!
Da nun mit dem Denken selbst korrelativ auch alles Gedachte
in den verschiedenen Kulturepochen verschieden organisiert sein muß,
so ist es auch das Gewollte, indem, wenigstens bei komplizierteren
Zielsetzungen, der Willensinhalt zugleich Denkinhalt oder denkmäßig
') Daß das Bewußtsein auch seine abstrakten Gegenstände räumlich ordnet,
ist ja eine bekannte Tatsache. Das Trennen und Verbinden, das Über- und Unter-
ordnen, überhaupt die elementarsten Denk Vorgänge setzen die Raumvorstellung
voraus. Nur insofern gibt es auch in dem oben angedeuteten Sinne Dimensionen
des Historischen.
ganze ihr Problem hat, um dessen Bewältigung sie, sich Schritt für Schritt
vorwärtstastend, ringt, das der wirkungsmäßigen Gestaltung sehräum-
licher Orientierungsbeziehungen. Es gibt also nicht nur Einzelprobleme
mit endlichen sachhaltigen Zielsetzungen, an denen folgerichtige Ent-
wicklung leicht zu konstatieren ist, wie das der stehenden nackten
Figur in der griechischen Plastik oder das zugleich technische und
künstlerische materialsparender Raumüberwölbung, an dem die mittel-
alterliche Baukunst arbeitet. Immer greift mit diesen besonderen Pro-
blemen ein allgemeineres in eins, das alle abendländische Kunst-
betätigung eint und vergleichbar macht. Erst zu dem Verständnis
dieses Problems vorstoßend, begreifen wir den Sinn des Gesamt-
prozesses, begreifen wir auch die tiefliegenden Unterschiede der Kunst
anderer Kulturen zu der der unseren. Mag sein, daß die ostasiatische
Kunst ähnliche Probleme zu bewältigen versucht hat, der Weg, den
sie gegangen ist, war ein wesentlich anderer, ein minder unruhvoller,
minder krisenreicher zweifellos.
Wir greifen weiter aus. Der Mensch, der in der Fläche zeichnet
wie der Grieche und der Mensch, für den jede Linie, jede Fläche
hintergründig, unendlichkeitbezogen ist wie der moderne, sie müssen
auch in anderen Lebensbezügen ein nicht minder verschiedenes Ver-
halten aufweisen. Nicht nur das künstlerisch-räumliche Gestalten kann
in verschiedenen Dimensionen organisiert sein, sondern jedes schöpfe-
rische Leisten des Bewußtseins auchJ). Jeder Satz, jeder Gedanke
etwa Nietzsches besitzt für jedes Wort, jeden Begriff, eine Hinter-
gründigkeit und Vielfältigkeit der Beziehungen, von der keine ältere
Kultur sich träumen ließ. Wie unendlich eindeutig — und in seiner
Eindeutigkeit uns kaum mehr faßbar — ist antikes Denken! Es er-
wächst hier die Aufgabe, die Strukturen des »Denkstils« aller Kulturen
bloßzulegen, nicht psychologisch, sondern durch einfache phänome-
nologische Analyse dessen, was gemeint ist. Und dann vergleiche
man, was bei Sätzen vergleichbaren Inhalts in den verschiedenen
Epochen hier und dort gemeint ist, treibe Stilanalyse der Form des
Denkens!
Da nun mit dem Denken selbst korrelativ auch alles Gedachte
in den verschiedenen Kulturepochen verschieden organisiert sein muß,
so ist es auch das Gewollte, indem, wenigstens bei komplizierteren
Zielsetzungen, der Willensinhalt zugleich Denkinhalt oder denkmäßig
') Daß das Bewußtsein auch seine abstrakten Gegenstände räumlich ordnet,
ist ja eine bekannte Tatsache. Das Trennen und Verbinden, das Über- und Unter-
ordnen, überhaupt die elementarsten Denk Vorgänge setzen die Raumvorstellung
voraus. Nur insofern gibt es auch in dem oben angedeuteten Sinne Dimensionen
des Historischen.