ZUR SYSTEMATIK DER KÜNSTLERISCHEN PROBLEME. 481
die Wölfflin (mit Kant zu reden) nur »rhapsodistisch« vorträgt, i syste-
matischem Sicherheit zu geben. Der Versuch, die letzten Motive der
Frankischen Methodik aufzuzeigen, führt also von selbst auf die Frage
nach dem Wesen der Wölfflinschen »Grundbegriffe«.
Daß sie in Wahrheit keine »Grundbegriffe< sind, d. h. keine
grundlegenden Kategorien der kunstwissenschaftlichen Deutung, darf
als erwiesen gelten '). Sind sie aber darum »nur eine durch natur-
wissenschaftliche Methode erreichte Klassifizierung?« '-'). Dies scheint
mir zu weit gegangen; denn wie käme man dann überhaupt auf Polari-
täten? Bei der einfachen morphologischen Klassifikation faßt man die
gleichen oder verwandten Gestalten unter einem bestimmten Begriff
zusammen. Dieser Begriff — das Charakteristikum — mag zwar eine
Vergleichung und Unterscheidung voraussetzen; er ist aber nicht seinem
Sinne nach auf einen Gegenbegriff bezogen. Gerade darin liegt
jedoch das Wesen der Wölfflinschen Grundbegriffe; sie sind anti-
thetisch gebildet. Und da es hierfür nur die eine Erklärung gibt, daß
sie die künstlerischen Probleme implizite voraussetzen, darf man sie als
»morphologische Bestimmungen höherer Ordnung« be-
zeichnen:
Es genügt, etwa das Gegensatzpaar »linear-malerisch < einem Ter-
minus wie »strähnig« gegenüberzustellen, um zu verstehen, daß es
sich hier um zwei verschiedene Stufen morphologischer Charakteristik
handelt. Das »Strähnige« ist etwas Singuläres, das erst auf künst-
lerische Probleme bezogen werden muß, um als spezifisch künst-
lerische Qualität zu erscheinen. Das »Lineare« und »Malerische«
hingegen sind typische Bestimmungen, die durch die Antithetik der
künstlerischen Probleme schon gleichsam hindurchgegangen sind. Das
Singulare kann nun im Typischen aufgehen, das »Strähnige kann als
»malerisch« erscheinen. Aber es wäre doch ein Irrtum, daraus folgern
zu wollen, daß es sich zum Malerischen verhalte wie der Artbegriff
zum Gattungsbegriff. Wenn der Begriff malerisch« auch um-
fassender ist als die Bestimmung »strähnig , so ist er darum doch
in keiner Weise abstrakter. Seine prinzipielle Überlegenheit, seinen
größeren Umfang verdankt er nicht seiner übergeordneten Stellung im
Sinne der naturwissenschaftlichen Klassifikation, sondern einzig und
allein der Tatsache, daß er — zugestanden oder nicht — schon der
Ausdruck einer kunstwissenschaftlichen Deutung ist. »Male-
risch« heißt die schon gedeutete, »strähnig oder dergleichen die
erst zu deutende Erscheinung.
') Siehe Erwin Panofsky, Der Begriff des Stils in der bildenden Kunst, Bd. X
dieser Zeitschrift.
2) A. Schweitzer, Der Begriff des Plastischen, Bd. XIII dieser Zeitschrift.
Zeitschr. f. Ästhetik u. Mg. Kunstwissenschaft. XVIII. 31
die Wölfflin (mit Kant zu reden) nur »rhapsodistisch« vorträgt, i syste-
matischem Sicherheit zu geben. Der Versuch, die letzten Motive der
Frankischen Methodik aufzuzeigen, führt also von selbst auf die Frage
nach dem Wesen der Wölfflinschen »Grundbegriffe«.
Daß sie in Wahrheit keine »Grundbegriffe< sind, d. h. keine
grundlegenden Kategorien der kunstwissenschaftlichen Deutung, darf
als erwiesen gelten '). Sind sie aber darum »nur eine durch natur-
wissenschaftliche Methode erreichte Klassifizierung?« '-'). Dies scheint
mir zu weit gegangen; denn wie käme man dann überhaupt auf Polari-
täten? Bei der einfachen morphologischen Klassifikation faßt man die
gleichen oder verwandten Gestalten unter einem bestimmten Begriff
zusammen. Dieser Begriff — das Charakteristikum — mag zwar eine
Vergleichung und Unterscheidung voraussetzen; er ist aber nicht seinem
Sinne nach auf einen Gegenbegriff bezogen. Gerade darin liegt
jedoch das Wesen der Wölfflinschen Grundbegriffe; sie sind anti-
thetisch gebildet. Und da es hierfür nur die eine Erklärung gibt, daß
sie die künstlerischen Probleme implizite voraussetzen, darf man sie als
»morphologische Bestimmungen höherer Ordnung« be-
zeichnen:
Es genügt, etwa das Gegensatzpaar »linear-malerisch < einem Ter-
minus wie »strähnig« gegenüberzustellen, um zu verstehen, daß es
sich hier um zwei verschiedene Stufen morphologischer Charakteristik
handelt. Das »Strähnige« ist etwas Singuläres, das erst auf künst-
lerische Probleme bezogen werden muß, um als spezifisch künst-
lerische Qualität zu erscheinen. Das »Lineare« und »Malerische«
hingegen sind typische Bestimmungen, die durch die Antithetik der
künstlerischen Probleme schon gleichsam hindurchgegangen sind. Das
Singulare kann nun im Typischen aufgehen, das »Strähnige kann als
»malerisch« erscheinen. Aber es wäre doch ein Irrtum, daraus folgern
zu wollen, daß es sich zum Malerischen verhalte wie der Artbegriff
zum Gattungsbegriff. Wenn der Begriff malerisch« auch um-
fassender ist als die Bestimmung »strähnig , so ist er darum doch
in keiner Weise abstrakter. Seine prinzipielle Überlegenheit, seinen
größeren Umfang verdankt er nicht seiner übergeordneten Stellung im
Sinne der naturwissenschaftlichen Klassifikation, sondern einzig und
allein der Tatsache, daß er — zugestanden oder nicht — schon der
Ausdruck einer kunstwissenschaftlichen Deutung ist. »Male-
risch« heißt die schon gedeutete, »strähnig oder dergleichen die
erst zu deutende Erscheinung.
') Siehe Erwin Panofsky, Der Begriff des Stils in der bildenden Kunst, Bd. X
dieser Zeitschrift.
2) A. Schweitzer, Der Begriff des Plastischen, Bd. XIII dieser Zeitschrift.
Zeitschr. f. Ästhetik u. Mg. Kunstwissenschaft. XVIII. 31