Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

DOI Artikel:
Cohn, Jonas: Zur Vorgeschichte eines Kantischen Ausspruchs über Kunst und Natur
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0187

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ZUR VORGESCHICHTE EINES KANTISCHEN AUSSPRUCHS. 183

Stirn i fsl misto il culto e col negletto)
Sol naturali e gli ornamenti e i siti.
Di natura arte par, che per diletto
L'imitatrice sua scherzando imiti.

Gries übersetzt dies:

»Und was die Schönheit mehrt so holden Werken,

Die Kunst, die alles schafft, ist nie zu merken.

Es scheint — so mischt sich Künstliches dem Wilden —

Als ob Natur den Garten angelegt

Und sich bestrebt, der Kunst ihn nachzubilden,

Die immer sonst ihr nachzubilden strebt.«

Hier ist also die Kunst, wie bei Longin, wirklich in der Natur ver-
borgen, aber es scheint so, als bilde die Kunst scherzend ihre Nach-
ahmerin nach. In einer Anmerkung zu dieser Stelle1) wird erwähnt,
daß Tasso in der ersten Apologie die zwei letzten Verse, weil sie
etwas hart seien, so umgewandelt habe:

Bell' arte di natura ove a diletto
L'imitatrice sua giocando imiti.
(Schöne Kunst der Natur, wo sie mit
Fröhlichkeit spielend ihre Nachahmerin nachahmt.)

Tasso erwähnt bei dieser Gelegenheit, daß er eine Stelle aus Ovids
Metamorphosen »naturae ludentis opus« nachgeahmt habe. Diese
Stelle scheint der Verfasser der Anmerkung eben so wenig gefunden
zu haben, wie es mir trotz der Hilfe befreundeter Philologen gelang,
sie zu finden. Vielleicht hat Tasso sein Gedächtnis getäuscht. Ge-
wissermaßen als Ersatz zitiert unsere Anmerkung die oben angeführte
Ovidstelle.

Im 17. Jahrhundert hat Longin, wie bekannt, durch Boileaus Über-
setzung sehr stark gewirkt. Unsere Stelle wird dabei fast mehr um-
schrieben, als übersetzt, so daß der sententiöse, nahezu epigrammatische
Charakter des Originals verloren geht: »Et ä dlre vral, Vart n'est
Jamals dans un plus haut degre de perfectlon, que lorsqu'll res-
semble sl fort ä la nature qu'on le prend pour la nature mime et au
contralre la nature ne reusslt Jamals mleux que quand Vart est cache.«
In seinen Reflexionen zum Longin berücksichtigt Boileau diese Stelle
nicht.

Eine eigenartige Wendung erhält [der Gedanke bei Addison, den
Schlapp2) als Vorgänger Kants nachweist. Er findet sich im 414. Stück

') Sie stammt von Gentili und findet sich gleichlautend wie bei Solerti schon
m der Ausgabe von Tassos Werken Milano 1804, II, 295 f. Die darin erwähnte
»Apologia« vermochte ich leider nicht zu erhalten.

2) Kants Lehre vom Genie und die Entstehung der Kritik der Urteilskraft.
Göttingen 1901, S. 136, Anm. 2.
 
Annotationen