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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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Spitzer, Hugo: Apollinische und dionysische Kunst, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0546

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XXII.

Apollinische und dionysische Kunst.

Von
Hugo Spitzer.

4. Die Verteilung des apollinischen und des dionysischen
Moments in den Künsten.

Mit der Unterscheidung der ästhetischen Lust von der Gemüts-
bewegung der Freude hat die Entgegensetzung von apollinischer und
dionysischer Kunst erst ihre volle Rechtfertigung erhalten. Die Deu-
tung, welche zu Beginn dieser Studie der Nietzscheschen Antithese
gegeben worden, erschiene so, wie sie oben formuliert wurde, als
barer Unsinn, die Differenz von affektfreiem und affektivem ästhetischen
Wohlgefallen wäre ins Reich der albernen Fiktionen zu verweisen,
wenn sich herausgestellt hätte, daß das ästhetische Gefühl als solches
eine Gemütsbewegung, nämlich der Affekt der Freude ist. Jedenfalls
müßte der Gedanke, wenngleich ein gewisser Kern desselben sogar
noch unter der bezeichneten Voraussetzung lebensfähig bliebe, eine
andere Fassung erhalten. Man könnte nicht mehr affektive und affekt-
lose ästhetische Genüsse einander gegenüberstellen, sondern man
müßte den Unterschied zwischen Apollinischem und Dionysischem
als den zwischen einer Kunstwirkung, in welcher nichts als der Affekt
der Freude waltet, und einer solchen, worin die ästhetische Freude sich
mit einer anderen Gemütsbewegung verbindet, auffassen und bestim-
men. Kunst- und Poesieschöpfungen, die, wie beispielsweise Schil-
lers berühmtes Lied an die Freude oder wie zahllose Gemälde, auf
dem Wege der Einfühlung den Freudenaffekt wachrufen, wären dann
freilich in Ansehung ihres psychologischen Eindruckes recht komplizierte
Gebilde und würden die Analyse zur Trennung zweier Arten von
Freude in einem und demselben Kunstgenuß: einer den ästhetischen
Gesamteindruck ausmachenden subjektiven und einer mehr »objektiven«
Freude, die mit zu den Faktoren des Eindruckes zählt, nötigen. Da
Werke dieser Art aber zweifellos in die dionysische Gruppe gestellt
werden müßten, so wäre selbst die zuvor gebotene Unterscheidung
 
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