10 KAARLE S. LAURILA.
Untersucht man nun ein wenig tiefer die Bedeutung dieser Wörter,
so findet man, daß ihnen alle Voraussetzungen zu einer Gegensätz-
lichkeit fehlen. Der Begriff des Schönen wird erst weiter unten zur
Zergliederung kommen, aber so viel ist von vornherein klar, daß unter
dem Schönen allemal etwas verstanden wird, dessen unmittelbarer,
reiner Gefühlswert lustvoll ist. »Schön ist, was ohne Interesse und
ohne Zweckvorstellungen allgemein und notwendig gefällt« — diese
Kantische Definition drückt doch im großen und ganzen richtig und
vorläufig genügend den Sinn des Wortes »schön« aus — allerdings
nur von der subjektiven Seite her. Charakteristisch wiederum ist zu-
nächst rein etymologisch erklärt, alles, was besonders deutlich auf den
Charakter (d. h. die wesentliche Beschaffenheit) eines Dinges hinweist.
Oder schärfer in der Form einer Definition: Charakteristisch sind die-
jenigen Züge eines Gegenstandes, die in besonders hohem Grade als
Unterscheidungsmerkmale eines Individuums oder einer Gruppe
von Individuen dienen können. Und charakteristisch nennt man ein
Individuum oder eine Gruppe von Individuen, wenn sie sich besonders
deutlich gerade durch solche Merkmale von anderen Individuen oder
von anderen Gruppen unterscheiden.
Vergleichen wir jetzt die beiden Begriffe, so erkennen wir ohne
weiteres, daß sie nicht in einem Verhältnis des Gegensatzes zu-
einander stehen können. Das Gegenteil von »schön« wäre ein Gegen-
stand, dessen unmittelbarer, reiner Gefühlswert unlustvoll ist. Aber
dies ist in dem Begriff des Charakteristischen durchaus nicht aus-
gedrückt. Wenn man von einem Gegenstand sagt, er sei charakteri-
stisch, so hat man damit gar nichts von seinem unmittelbaren, reinen
Gefühlswert bekundet. Ob er lustvoll oder unlustvoll ist, bleibt völlig
dahingestellt. Man sagt nur, daß der Gegenstand sich besonders leicht
erkennbar von allen anderen Gegenständen unterscheide, eine stark
ausgeprägte Eigenart besitze. Aus der Erfahrung wissen wir — was
übrigens auch theoretisch ableitbar wäre — daß Eigenart den Gegen-
stand nicht unbedingt zu einem Schönen macht, aber ihn auch nicht
von der Schönheit ausschließt. Deshalb kann es sowohl schöne wie
nicht schöne charakteristische Erscheinungen geben, wie es anderseits
sowohl charakteristische wie nicht charakteristische schöne Erschei-
nungen gibt. Mit anderen Worten: die Begriffe »schön« und »charak-
teristisch« sind weder miteinander identisch, noch sind sie Gegensätze,
sie berühren sich gar nicht, sie gleichen Linien, die sich in verschie-
denen Ebenen bewegen.
Aber nehmen wir einmal an, diese Begriffe seien doch, wie Volkelt
will, Gegensätze, nämlich nicht nach dem Sprachgebrauch, aber immer-
hin tatsächlich. Dann könnte ihre Gegensätzlichkeit, wie mir scheint,
Untersucht man nun ein wenig tiefer die Bedeutung dieser Wörter,
so findet man, daß ihnen alle Voraussetzungen zu einer Gegensätz-
lichkeit fehlen. Der Begriff des Schönen wird erst weiter unten zur
Zergliederung kommen, aber so viel ist von vornherein klar, daß unter
dem Schönen allemal etwas verstanden wird, dessen unmittelbarer,
reiner Gefühlswert lustvoll ist. »Schön ist, was ohne Interesse und
ohne Zweckvorstellungen allgemein und notwendig gefällt« — diese
Kantische Definition drückt doch im großen und ganzen richtig und
vorläufig genügend den Sinn des Wortes »schön« aus — allerdings
nur von der subjektiven Seite her. Charakteristisch wiederum ist zu-
nächst rein etymologisch erklärt, alles, was besonders deutlich auf den
Charakter (d. h. die wesentliche Beschaffenheit) eines Dinges hinweist.
Oder schärfer in der Form einer Definition: Charakteristisch sind die-
jenigen Züge eines Gegenstandes, die in besonders hohem Grade als
Unterscheidungsmerkmale eines Individuums oder einer Gruppe
von Individuen dienen können. Und charakteristisch nennt man ein
Individuum oder eine Gruppe von Individuen, wenn sie sich besonders
deutlich gerade durch solche Merkmale von anderen Individuen oder
von anderen Gruppen unterscheiden.
Vergleichen wir jetzt die beiden Begriffe, so erkennen wir ohne
weiteres, daß sie nicht in einem Verhältnis des Gegensatzes zu-
einander stehen können. Das Gegenteil von »schön« wäre ein Gegen-
stand, dessen unmittelbarer, reiner Gefühlswert unlustvoll ist. Aber
dies ist in dem Begriff des Charakteristischen durchaus nicht aus-
gedrückt. Wenn man von einem Gegenstand sagt, er sei charakteri-
stisch, so hat man damit gar nichts von seinem unmittelbaren, reinen
Gefühlswert bekundet. Ob er lustvoll oder unlustvoll ist, bleibt völlig
dahingestellt. Man sagt nur, daß der Gegenstand sich besonders leicht
erkennbar von allen anderen Gegenständen unterscheide, eine stark
ausgeprägte Eigenart besitze. Aus der Erfahrung wissen wir — was
übrigens auch theoretisch ableitbar wäre — daß Eigenart den Gegen-
stand nicht unbedingt zu einem Schönen macht, aber ihn auch nicht
von der Schönheit ausschließt. Deshalb kann es sowohl schöne wie
nicht schöne charakteristische Erscheinungen geben, wie es anderseits
sowohl charakteristische wie nicht charakteristische schöne Erschei-
nungen gibt. Mit anderen Worten: die Begriffe »schön« und »charak-
teristisch« sind weder miteinander identisch, noch sind sie Gegensätze,
sie berühren sich gar nicht, sie gleichen Linien, die sich in verschie-
denen Ebenen bewegen.
Aber nehmen wir einmal an, diese Begriffe seien doch, wie Volkelt
will, Gegensätze, nämlich nicht nach dem Sprachgebrauch, aber immer-
hin tatsächlich. Dann könnte ihre Gegensätzlichkeit, wie mir scheint,