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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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Müller-Freienfels, Richard: Über die Formen der dramatischen und epischen Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0181
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IV.

Über die Formen der dramatischen und

epischen Dichtung.

Psychologische und ästhetische Untersuchungen.

Von

Richard Müller-Freienfels.

Die Formen und Stilgattungen unserer Künste sind nicht etwa
durch Willkür entstanden, sondern sind Gebilde, die sich mit innerer
Notwendigkeit entwickelt haben. Die wichtigsten Umstände, die diese
Entwicklung bedingt haben, will ich im folgenden kurz aufzuzeigen
suchen. Der Laie meint zwar in der Regel, ein großer Künstler
müsse mit absoluter Souveränität auf seinem Gebiete schalten und
walten können. Das ist ein Irrtum. Solche Hexenkünste mögen
hie und da einen Virtuosen verlockt haben, die echten Künstler
haben derartiges nie versucht, im Gegenteil, sie haben die ihnen im
Material, im Gegenstand, in der Eigenart des Publikums usw. ent-
gegentretenden besonderen Verhältnisse, Schwierigkeiten und Hemm-
nisse nicht überrumpelt und haben sich nicht darüber hinweggesetzt,
vielmehr haben sie all diesen Dingen sorgfältig Rechnung getragen
und oft gerade aus solcher scheinbaren Gegnerschaft ihre besten
Verbündeten gewonnen. Man könnte den Künstler in dieser Hin-
sicht dem Feldherrn vergleichen, der auch in der Regel nicht ein
Operationsgebiet vorfindet, das ihm keine Hemmnisse in den Weg
stellte. Nur ein Dilettant in der Strategie würde nur durch Gewalt-
märsche oder besondere Kraftleistungen versuchen, diese lokalen
Schwierigkeiten zu forcieren, der echte Stratege macht sich gerade
solche Schwierigkeiten zu Verbündeten, indem er sich ihnen anpaßt
und oft genug den größten Vorteil zu ziehen vermag aus Dingen, die
dem Laien nur Hemmnisse scheinen. So ist es auch in der Kunst,
daß das, was zunächst wohl wie Zwang und Hindernis schien, gerade
zum Hebel für wirksamste Leistungen geworden ist.

Wir werden nun im folgenden einige der Stilformen der Dicht-
kunst vornehmen und den Gründen nachforschen, warum sie sich

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. VIII. 12
 
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