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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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Marcus, Hugo: Rahmen, Formenschönheit und Bildinneres
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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0092
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88 HUGO MARCUS.

mäßigen Dreiviertelrahmen für das Himmelsfenster zwischen ihnen:
nämlich zwei Senkrechte auf einer Wagerechten, also einen Rechteck-
torso. Halbe (oben und unten offene) Rahmen dagegen bilden sich
vor allem im Verhältnis einer Mitte zu zwei parallelen, zwei gleichen,
zwei symmetrischen Seiten. Unsere diesbezüglichen früheren Beispiele
von der Madonna zwischen zwei Heiligen, vom Berg zwischen zwei
Vorbergen usw. konnten das belegen.

Von geometrischen Torsoformen, von Geraden, Winkelstücken,
halben, dreiviertel Kreisen: von viertel, halben, dreiviertel Rahmen
also, wimmelt es nun in jedem Figurenbild und nicht minder in der
freien Natur. Unter den Bildern können das die von klassischer Tra-
dition, z. B. Porträts in der Landschaft, wie sie noch anfangs des
neunzehnten Jahrhunderts üblich waren, am besten beweisen. Da ist
etwa rings am Rande ein angedeutetes Rechteck als dunkler Rahmen:
der Boden, Stämme rechts und links, hohe Äste oben bilden es. In der
Mitte dieses Reghtecks öffnet sich, vom Gezweig und Gewurzel abge-
rundet, ein matt belichteter Kreis in die Raumtiefe. Er ist der Rahmen
für alles weitere. Man sieht darin nämlich seitlich das regelmäßige
Zylinderbruchstück einer geborstenen Säule: an sie gelehnt, ruht auf
einer Steinbank die zu porträtierende Menschengestalt, eine junge
Dame. Halb sitzt sie, halb liegt sie; so bildet ihre unten ruhende
Gestalt einen nach oben offenen Halbkreis, während ihr Profil an
der Säule in mittlerer Bildhöhe wiederum als kleinerer Halbkreis in
dem Raum steht. Säule und Gestalt zusammen bilden eine Parabel,
einen abgerundeten rechten Winkel, einen halb offenen Rahmen also.
Oben aber hängt, nach unten offen, ein vereinzelter, schön geschwun-
gener Zweig gleichfalls in halbem Bogen und ergänzt den unten be-
findlichen, nach oben geöffneten Halbkreis der Menschengestalt zum
idealen Vollrund. Der Säule gegenüber in mittlerer Höhe durchbricht
ein Lichtkegel von irgendwoher das Halbdunkel und teilt das ganze
Bild in drei Dreiecke, sein eigenes helles und je ein dunkleres darüber
und darunter. Er erleuchtet insbesondere den an die Säule gelehnten
Mädchenkopf. Die Augen dieses Kopfes aber blicken in die weite
Ferne der Bildmitte, wo aus unbestimmten Wolkenhalbkreisen aller-
hand offene Bergwinkel herüberdämmern. Und wie im Figurenbild,
so ist es auch in der natürlichen Landschaft. Da konstruiert sich oft
aus den verschiedensten Elementen, etwa inmitten einer großen Vorder-
grundpinie mit ragendem Wipfel hoch oben und eines in die Ferne
fliehenden und daher immer niedriger ausbuchtenden Olivenhains unten
ein nach einer Seite offener Himmelshalbkreis. In ihn hinein schickt
der Abend ein Stück wundervoller Wolkenstrahlenfigur. Diese mündet
in einer letzten Wolkenbank, die in horizontaler Geradlinigkeit hingeht
 
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