106 BESPRECHUNGEN.
Stellen (!) genug herausholen, die nicht nur Reflexionen der dargestellten Personen
enthalten, sondern wo mit abstrakten und gar nicht sehr lebendigen Worten die
Personen vom Erzähler geschildert und charakterisiert werden, ohne daß deshalb die
Geschichte (!) unästhetisch würde« (S. 10). Ganz recht, die Geschichte wird durch
einzelne Stellen, die vielleicht unästhetisch sind, nicht unästhetisch; in solchen Kom-
plexen wie einer Dichtung können ja gar nicht alle Elemente in gleicher Weise rein
oder nur ästhetisch sein, in großen Kunstwerken sind sehr viele andersartige Ele-
mente, die auch nicht einmal alle als Ausdruck und Gehalt völlig Form geworden zu
sein brauchen und dann allerdings in ästhetischem Sinne etwas leere Stellen ergeben,
aber dem Ganzen deshalb noch nichts anhaben. Es wird kaum ein großes Kunst-
werk geben, das wirklich durch und durch bis in die letzte Faser geformt wäre. Aber
solche Stellen sind dann nicht, wie Hamann meint, bloß etwas leer, jedoch nicht
unästhetisch, sondern gerade auch unästhetisch. (Auch an anderen Stellen übrigens,
die durchgeformt sind, ist der Genießende durchaus nicht lückenlos imstande,
seinerseits sich ästhetisch zu verhalten; da sind Abschweifungen in außerästhetisches
Verhalten namentlich bei umfangreicheren Werken ganz unvermeidlich und brauchen
dennoch dem ganzen Werk gegenüber das ästhetische Verhalten kaum wesentlich
zu schädigen.) — Ich kann dem Verfasser aber auch den letzten Absatz dieses mich
besonders interessierenden Abschnittes nicht zugestehen. Er sagt hier: »Gegen die
Notwendigkeit des Anschaulichen spricht aber vor allem das Geistreiche, jene Ge-
danken, die anregend sind, ohne daß eine definitive Wahrheit sich in ihnen ent-
schleiert, die nur durch die Fülle der Beziehungen, das Überraschende der logischen
Verknüpfungen oder gar das Verkehrte, das nur mit dem Schein des Rechtes spielt,
uns in vergnügte Stimmung versetzen. Schwerlich wird jemand, der die mit Bonmots
gespickten Erzählungen oder Dramen Oskar Wildes liest, sie theoretisch oder wissen-
schaftlich nennen, weil das Amüsante in ihnen nicht anschaulich, sondern rein ge-
danklich ist. Eher sind sie hyperästhetisch.« Nein, warum soll man Bonmots
ästhetisch nennen ? Wegen des Spielerischen der geistigen Haltung ? Dafür gibt es
doch ein anderes gutes Wort, nämlich unterhaltend; darin liegt auch das Vergnüg-
liche ausgedrückt. Man kann doch nicht jedes Divertissement als ästhetisch hin-
stellen. Bonmots können ästhetisch sein, z. B. wenn sie Klangwitze sind oder
etwa räumliche Situationskomik in ihren Vorstellungen enthalten und dergleichen,
d. h. eben wenn sie — anschauliche Elemente aufweisen. Es ist durchaus nicht
gesagt, daß alle Bonmots, alle geistreichen Gedanken, auf die Hamanns Beschreibung
hier zutrifft, entweder in das Gebiet des Ästhetischen oder außerhalb seiner Grenzen
fallen müssen, sondern sie werden sich hüben und drüben verteilen; die Begriffe Bonmot
und ästhetisch schneiden sich, zeigen aber nicht einfache Subordination; sie gehen
einander zunächst durchaus nichts an, und man braucht über die Frage gar nicht
nachzudenken, ob man das Bonmot und dergleichen überhaupt zusammengenom-
men aus dem Umkreis des Ästhetischen hinaus verweisen soll oder nicht.
Ich möchte hier bei der Frage des Anschaulichen noch etwas verweilen; es ist
zwar nicht der Ort, die von Hamann abweichende Grundanschauung positiv aus-
zuführen, aber einiges möchte ich doch selbst hier seiner Grundanschauung ent-
gegenstellen. Ästhetisch heißt zunächst, dem Worte nach, sinnlich, empfindungsmäßig.
So ist es von Aristoteles, so von Baumgarten und Kant gebraucht worden. Warum
soll man ohne Not den Sinn einer brauchbaren Bezeichnung verschieben? Es handelt
sich nicht nur darum, daß das Wort unzweifelhaft damals, als man es zuerst für
dieses Gebiet in Gebrauch nahm, die sinnliche Seite der Sache meinte, sondern
auch darum, daß man das Wort für die Sache bisher beibehalten hat in der Mei-
nung, daß jene Seite in der Sache liegt, und zwar als eine recht erhebliche. Darin
Stellen (!) genug herausholen, die nicht nur Reflexionen der dargestellten Personen
enthalten, sondern wo mit abstrakten und gar nicht sehr lebendigen Worten die
Personen vom Erzähler geschildert und charakterisiert werden, ohne daß deshalb die
Geschichte (!) unästhetisch würde« (S. 10). Ganz recht, die Geschichte wird durch
einzelne Stellen, die vielleicht unästhetisch sind, nicht unästhetisch; in solchen Kom-
plexen wie einer Dichtung können ja gar nicht alle Elemente in gleicher Weise rein
oder nur ästhetisch sein, in großen Kunstwerken sind sehr viele andersartige Ele-
mente, die auch nicht einmal alle als Ausdruck und Gehalt völlig Form geworden zu
sein brauchen und dann allerdings in ästhetischem Sinne etwas leere Stellen ergeben,
aber dem Ganzen deshalb noch nichts anhaben. Es wird kaum ein großes Kunst-
werk geben, das wirklich durch und durch bis in die letzte Faser geformt wäre. Aber
solche Stellen sind dann nicht, wie Hamann meint, bloß etwas leer, jedoch nicht
unästhetisch, sondern gerade auch unästhetisch. (Auch an anderen Stellen übrigens,
die durchgeformt sind, ist der Genießende durchaus nicht lückenlos imstande,
seinerseits sich ästhetisch zu verhalten; da sind Abschweifungen in außerästhetisches
Verhalten namentlich bei umfangreicheren Werken ganz unvermeidlich und brauchen
dennoch dem ganzen Werk gegenüber das ästhetische Verhalten kaum wesentlich
zu schädigen.) — Ich kann dem Verfasser aber auch den letzten Absatz dieses mich
besonders interessierenden Abschnittes nicht zugestehen. Er sagt hier: »Gegen die
Notwendigkeit des Anschaulichen spricht aber vor allem das Geistreiche, jene Ge-
danken, die anregend sind, ohne daß eine definitive Wahrheit sich in ihnen ent-
schleiert, die nur durch die Fülle der Beziehungen, das Überraschende der logischen
Verknüpfungen oder gar das Verkehrte, das nur mit dem Schein des Rechtes spielt,
uns in vergnügte Stimmung versetzen. Schwerlich wird jemand, der die mit Bonmots
gespickten Erzählungen oder Dramen Oskar Wildes liest, sie theoretisch oder wissen-
schaftlich nennen, weil das Amüsante in ihnen nicht anschaulich, sondern rein ge-
danklich ist. Eher sind sie hyperästhetisch.« Nein, warum soll man Bonmots
ästhetisch nennen ? Wegen des Spielerischen der geistigen Haltung ? Dafür gibt es
doch ein anderes gutes Wort, nämlich unterhaltend; darin liegt auch das Vergnüg-
liche ausgedrückt. Man kann doch nicht jedes Divertissement als ästhetisch hin-
stellen. Bonmots können ästhetisch sein, z. B. wenn sie Klangwitze sind oder
etwa räumliche Situationskomik in ihren Vorstellungen enthalten und dergleichen,
d. h. eben wenn sie — anschauliche Elemente aufweisen. Es ist durchaus nicht
gesagt, daß alle Bonmots, alle geistreichen Gedanken, auf die Hamanns Beschreibung
hier zutrifft, entweder in das Gebiet des Ästhetischen oder außerhalb seiner Grenzen
fallen müssen, sondern sie werden sich hüben und drüben verteilen; die Begriffe Bonmot
und ästhetisch schneiden sich, zeigen aber nicht einfache Subordination; sie gehen
einander zunächst durchaus nichts an, und man braucht über die Frage gar nicht
nachzudenken, ob man das Bonmot und dergleichen überhaupt zusammengenom-
men aus dem Umkreis des Ästhetischen hinaus verweisen soll oder nicht.
Ich möchte hier bei der Frage des Anschaulichen noch etwas verweilen; es ist
zwar nicht der Ort, die von Hamann abweichende Grundanschauung positiv aus-
zuführen, aber einiges möchte ich doch selbst hier seiner Grundanschauung ent-
gegenstellen. Ästhetisch heißt zunächst, dem Worte nach, sinnlich, empfindungsmäßig.
So ist es von Aristoteles, so von Baumgarten und Kant gebraucht worden. Warum
soll man ohne Not den Sinn einer brauchbaren Bezeichnung verschieben? Es handelt
sich nicht nur darum, daß das Wort unzweifelhaft damals, als man es zuerst für
dieses Gebiet in Gebrauch nahm, die sinnliche Seite der Sache meinte, sondern
auch darum, daß man das Wort für die Sache bisher beibehalten hat in der Mei-
nung, daß jene Seite in der Sache liegt, und zwar als eine recht erhebliche. Darin