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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0120
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116 BESPRECHUNGEN.

Anordnung des Buches entspricht und ihr gefolgt ist, wenigstens etwas zusammen-
zufassen, zum Schluß noch einiges über die Form des Buches und seine Denkart
sagen darf, so ist das erste, was mir auffiel, daß es mit recht komplexen Fragen
und einer ziemlich kasuistischen Behandlung sofort beginnt; das wird ihm nicht jeder
Leser danken. Ob z. B. gerade so komplizierte Fälle wie das Porträt oder das
Heldenepos mit seiner Verwandtschaft zur Geschichtswissenschaft mit Nutzen so
bald am Beginn des Buches Erwähnung finden? Diese Dinge könnten nachher,
als für die theoretische Durchführung reizvolle Mischungen bereits erörterter Elemente,
besser am Platze sein. So aber erhält man nicht zunächst starke und einfache
Unterschiede, die als Grundlage des weiteren Aufbaues sich einprägten, und so
konnte es geschehen, daß die Begriffe Kunst und künstlerisch überhaupt nicht
definiert werden und doch sofort damit gearbeitet wird. Verursacht ist diese An-
ordnung zum Teil durch eine Vorliebe für scharfsinnige Distinktionen und Diremptionen,
die auch der Begriffsbildung Hamanns nicht selten etwas Kapriziöses, wenn nicht
Eigensinniges gibt. Bemerkenswert ist dabei weiterhin, was wir noch eben an einem
Beispiele fanden, daß er bei seinem Sinn für Unterscheidungen oft allzu harsch
auseinanderreißt und sich graduelle Übergänge entgehen läßt, also als ein Mann,
der in mancher Hinsicht kompliziert denkt und auch schreibt, dennoch für den
eigentlichen Reiz und auch die Wahrheit von Abstufungen und Mischungen wenig
Empfänglichkeit hat. Er denkt und schreibt nicht besonnen und ruhig, er ist weit-
aus kein letzter Formulierer, eher ein etwas draufgängerischer Minierer, worin gewiß
große Wertmöglichkeiten liegen; aber es ist vielleicht nicht nötig, daß man dabei so
viele herkömmliche und gut ausgearbeitete Begriffe der Ästhetik über den Haufen
läuft oder verstellt, — bisweilen um einiger geistiger Pikanterien willen, deren Rolle
übertrieben empfunden wird. Der Verfasser erscheint mehr scharfsinnig als um-
sichtig, kein versöhnlicher Kopf, sondern ein Widerspruchsgeist, seine Wirkungen
haben etwas Frappierendes, im guten wie gelegentlich im minder erfreulichen Sinn.
Er wirkt anregend, man nimmt Stellung zu ihm; aber stimmt man auch fast alle
drei Zeilen fühlbar zu, so schüttelt man auch recht häufig ebenso fühlbar den Kopf.
Hamann ist auch in der (inneren) Form nicht der Mann des stetigen Ganges, der
großen, ruhigen Konturen, sondern des aufgelösten Umrisses und der nicht selten
geistreichen Einzelbemerkungen, ich möchte sagen impressionistisch. Er hat
denn bisweilen auch das Gewaltsame und Radikale wie mancher Impressionismus,
und man vermißt häufiger, bei aller logischen Schärfe, eine quantitative Logik, d. h.
er sieht oft Dinge, die zwar richtig, aber nicht immer auch so wichtig sind, wie er
sie nimmt; er vermag theoretische Finessen für ausschlaggebend zu halten. Die
Stellung der Elemente im Komplex zu beachten, ihren Anteil abzuschätzen, ihr Ge-
wicht abzuwägen, dazu nimmt er sich sozusagen keine Zeit: er sieht, daß diese
und jene Wahrheitselemente zu finden sind — genug für ihn, um für sie gleich-
sam mit Ellbogenkraft Geltung zu beanspruchen.

Hamann behandelt in der Vorrede die Ästhetik Volkelts etwas von oben herab,
ja, man muß wohl sagen schnöde; mir stieg in der weiteren Lektüre oft Volkelts
Werk als Gegenstück auf — und Hamanns Buch wurde davon »an die Wand ge-
spielt«. Denn wie aufklärend, wie umfassend und gerecht legt Volkelt alles aus-
einander, mit welcher ruhigen Überlegenheit löst er Dilemmen — löst sie wirklich
und freut sich nicht bloß daran —, und wie arbeitet er gern mit dem gedanklichen
»Sowohlalsauch«, wie er es selber einmal ausdrückt. Er bemißt die verschiedenen
Grade des Anteils und der Berechtigung, die die Elemente im Ganzen haben, erkennt
Teilmängel mancher Erscheinungen und duldet sie, sieht Gefahren gewisser Richtungen
und zeigt ihre Grenze usw. Höchst reichhaltig erscheint da Leben und Kunst und
 
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