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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0151
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BESPRECHUNGEN. 147

Ist seine Seele schon verdammt und kann sie nichts mehr retten, so hat Macbeth
nichts mehr zu verlieren; er fühlt sich, als ob er von einer Feindesschar, die man
schlagen muß, umgeben wäre. Er läßt den Banquo töten; aber das Gewissen,
oder der kategorische Imperativ, ruft den Geist Banquos hervor, und martert Mac-
beth mit unendlichem Grauen, so daß der Held keine Furcht mehr kennt; er ver-
sinkt tiefer und tiefer in die blutigen Taten; und der kategorische Imperativ reizt
ihn noch dank den zweideutigen Weissagungen der Hexen, daß Macbeth so lange
nicht besiegt wird, bis Birnams Wald auf Dunsinan anrückt, und daß kein von einer
Frau .Geborener ihn töten kann. Und er kämpft rastlos und kennt kein Erbarmen.
Ganz Schottland stöhnt unter den ungeheueren Mordtaten. Es wird so einsam um
Macbeth, er sieht sich nur noch von Feinden umgeben; er lernt die Liebe, die
Freundschaft, den Menschen an sich schätzen, und der Verursacher aller Greueltaten
denkt vordem letzten Kampfe daran: wo Gefährten sind, wo er Liebe und Freund-
schaft findet. Aber es gibt kein Zurück für ihn; er kämpft, bis er von Macduff ge-
tötet wird. Die erste fast zufällige Mordtat brachte ihn auf den blutigen Weg.
Shakespeare hat uns hier die Psychologie des Verbrechers gegeben, uns den Mörder
menschlich begreiflich gemacht. Gewiß gibt diese Auffassung Schestows eine künst-
lerische Auflösung des Dramas »Macbeth«. Aber wozu hat Schestow Kants kate-
gorischen Imperativ herangezogen? Verfolgte nicht, meint Schestow, der kategorische
Imperativ gleich einem erbarmungslosen Henker den Macbeth, so fiele dem Helden
niemals ein, den blutigen Weg nur deshalb fortzugehen, weil er schon ohnedies
tief im Blute steckt, weil er, der Vertreter des bösen Willens, von Gott und Men-
schen verstoßen ist. Gibt es denn nach Kant kein Zurück, d. h. keine Buße? Hat
denn Kant einen guten und bösen Willen im metaphysischen Sinne postuliert, so
daß die einmal begangene Schuld des Menschen auf seine nie zu bessernde mora-
lische Natur schließen läßt? Kant sprach nur von jeder einzelnen moralischen
Handlung, die nach dem guten Willen, d. h. nach der reinen Gesinnung zu be-
urteilen ist. Und Kant sprach von der Würde des Menschen, die nicht verletzt
werden darf; also nach dem kategorischen Imperativ Kants sollte Macbeth den
Duncan nicht töten, weil er dadurch die Menschenwürde verletzt, und nicht, weil
der Mörder unter Gewissensqualen leiden wird. Kants kategorischer Imperativ geht
von der moralischen Freiheit des Menschen aus und nicht von den schmerzlichen
Folgen, denen der Missetäter nach begangener Schuld unterliegt. So aufgefaßt
kann Kants kategorischer Imperativ keine äußere Polizeimacht sein; gerade dies
kennzeichnet den kategorischen Imperativ, daß seine Erfüllung vom Gefühl der
inneren Freiheit des Menschen begleitet wird; seine Verletzung dagegen läßt noch
stärker seine lebendige Kraft auflodern, — er wird dann zum Pathos, so wie es
z. B. bei Don Cesar (»Die Braut von Messina«), der den Mord des Bruders durch
den freiwilligen Tod büßt, der Fall ist. Bei Macbeth handelt es sich eben um
einen ganz anderen kategorischen Imperativ, um eine polizeiliche, ganz äußere
Macht, obwohl sie von innen kommt. Macbeth war keine moralisch erhabene
Natur: der kategorische Imperativ erscheint hier nur als ein stark eingepflanztes
Vorurteil, dem nur Feiglinge unterliegen, und Macbeth gewinnt unsere Sympathie
dadurch, daß er dieser äußeren Macht die Fehde bietet; damit beweist er seine
Freiheit, die vor den größten Martern nicht zurückschrickt; er ist nach Schillers
Terminologie ästhetisch erhaben.

Schestow endet sein Buch mit folgenden Bemerkungen: In die Details von
Brandes' Shakespeare-Forschung wol'e er nicht eingehen; er begnüge sich mit der
Analyse der Tragödien der zweiten Schaffensperiode Shakespeares. Es war zu zeigen,
wie wenig Verständnis Brandes für Shakespeare hat, und wie der große Dichter
 
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