Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

DOI article:
Volkelt, Johannes: Der Begriff des Stils
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0218
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
214 JOHANNES VOLKELT.

hervorgetreten. Man käme mit Ausdrücken wie künstlerische Form,
Formgepräge, oft auch mit dem Worte »Form« für sich allein voll-
kommen aus.

In einem gewissen Fall allerdings erhält dieser auf die verschiede-
nen Künste bezogene Stilbegriff doch einen eigentümlicheren Inhalt.
Dies geschieht dann, wenn sich die Formbestimmtheit einer Kunst
innerhalb einer anderen Kunst geltend macht und eine dementsprechend
abgeänderte Gestalt zeigt. So gibt es einen malerischen Stil in der
Skulptur: das Verschwimmende und Verhauchende, die durch das
Spiel von Licht und Dunkel bedingte Weichheit und Dämmerigkeit
der Umrisse, wie dies der Malerei eigentümlich ist, kann, selbstver-
ständlich angepaßt dem fremden Medium der Skulptur, in gewissem
Grade auf die Gestaltungsweise dieser Kunst von Einfluß sein. Es
genügt, an Rodin zu erinnern. In der Malerei gibt es umgekehrt
einen skulpturartigen Stil (man mag sich Cornelius oder Genelli vor
Augen führen). Der Dichter kann musikalisch, der Gartenkünstler
architekturartig schaffen. In allen solchen Fällen handelt es sich um
die Formbestimmtheit einer Kunst, insofern sie sich innerhalb einer
andern Kunst in einer dieser Kunst angepaßten Weise als gestaltendes
Prinzip geltend macht. Dies ist eine so eigentümliche Differenzierung
der Formbestimmtheit, daß dafür eine besondere Bezeichnung er-
wünscht erscheint. Hier hat der Stilbegriff einen eigentümlichen In-
halt bekommen.

Eine andere Besonderung des allgemeinen Stilbegriffs scheint sich
zu ergeben, wenn man die Gliederung des Ästhetischen in seine
Grundgestalten ins Auge faßt. In der Tat handelt es sich um be-
stimmt ausgeprägte Typen des künstlerischen Schaffens, je nachdem
Schönes oder Charakteristisches, Erhabenes oder Anmutiges, Tragi-
sches oder Komisches geschaffen wird. Und so ließe sich denn von
einem Stil der Schönheit, einem Stil des Charakteristischen, einem Er-
habenheits-, einem Anmutsstil und so fort reden. Allein es ist hier-
bei eines zu bedenken: die ästhetischen Grundgestalten bedeuten
nicht nur Formbestimmtheiten der Kunst, sondern auch des Natur-
wirklichen. Man wird daher gut tun, die Grundgestalten nicht als
verschiedene Arten des Stils zu bezeichnen. Der Begriff »Stil« würde,
wenn man ihn auf das Naturästhetische anwenden wollte, sein Charak-
teristisches einbüßen. Eine solche Verflüchtigung und Verwässerung
des Stilbegriffs ist nicht wünschenswert.

4. Dagegen entspringen nach drei Richtungen hin so eigen-
tümliche Besonderungen der künstlerischen Formbestimmtheit, daß
hierfür der Name »Stil« als in besonderem Grade passend erscheint.
Hiermit allererst trete ich an den Stilbegriff in seinen wichtigsten Be-

/
 
Annotationen