DER BEGRIFF DES STILS. 21Q
nicht in dem Sinne geschehen, als ob damit ein neues Merkmal zu
der Grundbestimmung des einheitlichen, bedeutsamen Formgepräges
hinzugefügt wärex).
5. Am vielseitigsten und innigsten mit der Psychologie des künst-
lerischen Schaffens hängt der Gegensatz des elementaren und des
vernunftgeklärten Stiles zusammen. Ich kann jenen auch als den
Stil der Natürlichkeit bezeichnen. Im künstlerischen Schaffen ist
die Möglichkeit einer geringeren und größeren Entwicklung der denken-
den Bewußtseinshaltung, der absichtsvollen Aufmerksamkeit, der klaren
Vernunft freigegeben. Oder von der anderen Seite her angesehen:
das Unwillkürliche, triebartig sich von selbst Gestaltende, das Un-
bewußte, das Naturartige kann im künstlerischen Schaffen stärker und
schwächer entwickelt sein. So ergibt sich ein tief einschneidender
Unterschied der Schaffensweise und damit des Stils.
Ich achte zuerst auf die Gefühle, aus denen der Künstler seine
Gestalten schafft, aus denen er sein Schaffen nährt. Diese lassen eine
doppelte Möglichkeit zu: entweder sie entwickeln sich unter wesent-
licher Mitwirkung der ordnenden, klärenden, verarbeitenden Intelligenz,
oder sie sind rein durch eigene Triebkraft entfaltet, ohne daß an ihrer
Gestaltung und Verknüpfung die Denkarbeit in bestimmender Weise
beteiligt wäre. Dort handelt es sich um Gefühle vernunftgeklärter,
bearbeiteter, durchgebildeter Art; hier dagegen tragen die Gefühle den
Charakter des Naturgewachsenen, Unwillkürlichgewordenen, des Ur-
sprünglichen, Zufälligen. Dort sind die Gefühle gleichsam durch ein
ihnen fremdes Medium hindurchgegangen, das sichtend, verknüpfend,
überlegend auf sie wirkte. Hier dagegen trägt alles den Reiz des
Freientfalteten. So ist dort vorwiegend eine Stätte des Ermäßigten,
Wohlgeordneten, Gleichgewichtsvollen, hier dagegen vorwiegend eine
• Stätte des Wilden und Ungestümen, des Dunklen und Plötzlichen, des
Irrationalen und Widerspruchsvollen. Dort liegt die Gefahr des Ge-
]) Hier und da hat der Begriff des Stilisierens irreführend auf den Stilbegriff
eingewirkt. Im Stilisieren ist die fühlbare, ja auffallende Abweichung der künstle-
rischen Formgebung von der Naturwirklichkeit betont. Im Stil ist dies dahinge-
stellt gelassen. Auch wo umgekehrt an der künstlerischen Form die Nähe der
Naturwirklichkeit gefühlt wird, kann Stil vorhanden sein. Auch die naturalistischen
Künstler haben ihren Stil. So ist denn Stilisierung ein beträchtlich engerer Begriff
als Stil. Besonders wo die künstlerische Formgebung als im Gegensatze zu der
natürlichen Form des Gegenstandes stehend gefühlt wird, spricht man von Stili-
sierung. Und da ist es wiederum die Formung der freien, zwanglosen Naturwirk-
lichkeit in der Richtung des Regelmäßigen, Symmetrischen, Geometrischen, was im
allerengsten Sinne als Stilisierung bezeichnet wird. Der Löwe im Wappen ist ein
stilisierter Löwe. Eine Ranke, ein Blatt wird zu einer Zierform in Baukunst und
Kunstgewerbe stilisiert.
nicht in dem Sinne geschehen, als ob damit ein neues Merkmal zu
der Grundbestimmung des einheitlichen, bedeutsamen Formgepräges
hinzugefügt wärex).
5. Am vielseitigsten und innigsten mit der Psychologie des künst-
lerischen Schaffens hängt der Gegensatz des elementaren und des
vernunftgeklärten Stiles zusammen. Ich kann jenen auch als den
Stil der Natürlichkeit bezeichnen. Im künstlerischen Schaffen ist
die Möglichkeit einer geringeren und größeren Entwicklung der denken-
den Bewußtseinshaltung, der absichtsvollen Aufmerksamkeit, der klaren
Vernunft freigegeben. Oder von der anderen Seite her angesehen:
das Unwillkürliche, triebartig sich von selbst Gestaltende, das Un-
bewußte, das Naturartige kann im künstlerischen Schaffen stärker und
schwächer entwickelt sein. So ergibt sich ein tief einschneidender
Unterschied der Schaffensweise und damit des Stils.
Ich achte zuerst auf die Gefühle, aus denen der Künstler seine
Gestalten schafft, aus denen er sein Schaffen nährt. Diese lassen eine
doppelte Möglichkeit zu: entweder sie entwickeln sich unter wesent-
licher Mitwirkung der ordnenden, klärenden, verarbeitenden Intelligenz,
oder sie sind rein durch eigene Triebkraft entfaltet, ohne daß an ihrer
Gestaltung und Verknüpfung die Denkarbeit in bestimmender Weise
beteiligt wäre. Dort handelt es sich um Gefühle vernunftgeklärter,
bearbeiteter, durchgebildeter Art; hier dagegen tragen die Gefühle den
Charakter des Naturgewachsenen, Unwillkürlichgewordenen, des Ur-
sprünglichen, Zufälligen. Dort sind die Gefühle gleichsam durch ein
ihnen fremdes Medium hindurchgegangen, das sichtend, verknüpfend,
überlegend auf sie wirkte. Hier dagegen trägt alles den Reiz des
Freientfalteten. So ist dort vorwiegend eine Stätte des Ermäßigten,
Wohlgeordneten, Gleichgewichtsvollen, hier dagegen vorwiegend eine
• Stätte des Wilden und Ungestümen, des Dunklen und Plötzlichen, des
Irrationalen und Widerspruchsvollen. Dort liegt die Gefahr des Ge-
]) Hier und da hat der Begriff des Stilisierens irreführend auf den Stilbegriff
eingewirkt. Im Stilisieren ist die fühlbare, ja auffallende Abweichung der künstle-
rischen Formgebung von der Naturwirklichkeit betont. Im Stil ist dies dahinge-
stellt gelassen. Auch wo umgekehrt an der künstlerischen Form die Nähe der
Naturwirklichkeit gefühlt wird, kann Stil vorhanden sein. Auch die naturalistischen
Künstler haben ihren Stil. So ist denn Stilisierung ein beträchtlich engerer Begriff
als Stil. Besonders wo die künstlerische Formgebung als im Gegensatze zu der
natürlichen Form des Gegenstandes stehend gefühlt wird, spricht man von Stili-
sierung. Und da ist es wiederum die Formung der freien, zwanglosen Naturwirk-
lichkeit in der Richtung des Regelmäßigen, Symmetrischen, Geometrischen, was im
allerengsten Sinne als Stilisierung bezeichnet wird. Der Löwe im Wappen ist ein
stilisierter Löwe. Eine Ranke, ein Blatt wird zu einer Zierform in Baukunst und
Kunstgewerbe stilisiert.