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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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Wirtz, Heinrich: Die Aktivität im ästhetischen Verhalten, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0408
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404 HEINRICH WIRTZ.

tat. Vielmehr schrieb ich es den Wirkungen der Kunst zu, daß sie
in uns diese Erscheinungen auslöse.

Die innere Aktivität erlebe ich als eine Bereicherung durch die
neuen Eindrücke. Es überkommt mich ein Gefühll) der Kraft, der
unbegrenzten Fähigkeiten. Dann glaube ich dem Verständnis des
Künstlers am nächsten zu sein. Wie stark muß es ihn erregt haben,
sage ich mir, wie muß es ihn erfaßt haben, als er dies oder jenes
konzipierte! wie muß es ihn durchglüht haben, als er diese straffe
und markante Ausdrucksform gestaltete! Wie weich muß es ihn
durchflutet haben, als sich der sanfte Rhythmus dieser oder jener
Linie, dieses oder jenes Wortes über ihn ergoß! Die Tätigkeit des
Künstlers, sein Erleben wird nacherlebt.

Daran heftet sich das Interessanteste dieses genießenden Zustandes:
es wird der Impuls zu eigenem Tun wachgerufen, ein Tätigkeits-
drang wird wach, der auf eine Handlung — ganz allgemein ge-
sprochen — geht. Es entsteht der Glaube, selbst schaffen zu können,
in der Rezeption die Konzeption neuer Formungen zu vollziehen: ein
Gefühl des Könnens, der Herrschaft über alle Seelenfähigkeiten. Durch
diese Art des Erlebens wird das Kunstobjekt nicht verwandelt, son-
dern seine Wirkungen scheinen noch verstärkt aufzutreten, das Ge-
nießen wird begeisterter, weil die Seele empfänglicher ist. Das Gefühl
des Gehobenseins, der Freiheit und des weiten Strebens ist in seinem
Gefolge. Die Seele sucht nach der Umsetzung des Erlebnisses in
eigene Formen auf Grund der inneren Stimmungen.

Die stärkste Reaktion des ästhetischen Genusses ist dieser Drang,
irgend etwas tun zu müssen, den erlebten Wert meinem Dasein in
irgend einer Form einzureihen. Der Schaffensdrang ist der allge-
meine Zustand, der in mir ist; er kann sich verschiedenartig äußern.
Das Mitteilungsbedürfnis ist nur eine Art dieser Äußerung, auch dieses
kann in den verschiedensten Formen auftreten.

Diese Aktivität wird nicht nur durch musikalische Eindrücke oder
durch andere intensive ästhetische Reize ausgelöst, wenn auch die
Wirkungen der Dynamik in der Musik wie auch im Drama diesem
Zustand sehr förderlich sein können; sondern sie zeigt sich oft und
bei folgenden Gelegenheiten.

Ich kann beispielsweise im Grase liegen und lange Zeit in den
blauen Himmel schauen. Wenn ich absehe von der rein körperlichen

') Wenn ich hier und im folgenden den Ausdruck »Gefühl« verwende, so be-
diene ich mich dabei einer populären Redeweise. Selbstverständlich kann man
solche Gefühle nicht mit Lust und Unlust auf dieselbe Stufe stellen, da sie ein
dunkles Wissen um etwas einschließen, und somit auch nicht in demselben Sinne
wie jene als Gefühle bezeichnen.
 
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