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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0492
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488 BESPRECHUNGEN.

er zu Shakespeare.« Ich sehe nun den Wert dieser Abschnitte für die Kunstwissen-
schaft in der Kraft, mit der dieses Apercu im einzelnen durchgeführt ist, wie etwa
die unendlich über Wieland, Müller, Heinse hinausgehende Erfassung und die
Fruchtbarmachung von Shakespeares Naturgefühl, Spiel, Laune, Ironie aus der neuen
metaphysischen Wertung dieser Dinge abgeleitet wird, das romantische Spiel
in der Sprache davon mitbeseelt erscheint, und wie aus der Opposition Goethes
gegen diese Wirkung Shakespeares Goethes Stellungnahme im Alter miterklärt
wird. In zweiter Linie dann in den Erörterungen, weshalb aus der Romantik die
Shakespeareübersetzung kommen konnte, und in der Charakteristik ihres Grundtons,
die der erste ebenbürtige Nachfolger Schlegels wohl unternehmen darf. Die theo-
retischen Meinungen der Romantik, die ja eine frühere Darstellung der Aufnahme
Shakespeares schon mit Erfolg betrachtet hat, sind etwas zurückgedrängt, aber
nicht vernachlässigt, und mancherlei neue Nuancierung ist auch hier der Gewinn.
Nur hätte man vielleicht gewünscht, die Abweichung von Praxis und Theorie (z. B.
beim Begriff der Ironie, und bei der Ironie als romantisches Stilmittel), die Gundolf
konstatiert, nun auch von einem höheren Gesichtspunkt aus in Einklang gebracht
zu sehen. Gundolf trifft es meiner Meinung nach ganz ausgezeichnet mit seiner
Behandlung der Frage, wie weit die Romantiker in ihrer Shakespeareauffassung
Herder oder Lessing fortsetzen, wenn er zeigt, worin sie beiden verpflichtet sind
und beide verlassen. Besonders fein etwa, wenn er zeigt, daß Lessings »Denkkunst-
werk« doch etwas ganz anders ist als das Denkkunstwerk, die »Denksymphonie«,
die Schlegel in Shakespeares Werk sieht, und daß, was den Kern des Gegensatzes
ausmacht, eben die ganze Bewegung voraussetzt, die in Herder gipfelt.

Gundolf geht ja nun den Weg nicht mehr, der von Schlegel zu seiner eigenen
Übersetzung führt. Einen Weg, der wohl sicher nicht in neuen symbolischen Äuße-
rungen über Shakespeare deutlich aufzuzeigen wäre, da ja das 19. Jahrhundert aus
guten Gründen den Shakespeareschriften und -Übersetzungen des 18. Jahrhunderts
nichts an die Seite zu setzen hat. Und doch führt ein Weg zu Shakespeare durch
allen Kunstverfall dieses Jahrhunderts, freilich ein verschütteter Weg, der nur zu
sehen ist von der Höhe eines neuen, in Nietzsche klar erschienenen Kulturwillens,
der dies verirrte Streben der Zeit durchleuchtet. Gundolf, der seine Geschichte der
Shakespeareaufnahme doch ganz stark auf die Übersetzungen hin orientiert hat,
überläßt diese Fortsetzung seines Werkes mit Recht dem, der schon die neue, von
Gundolf geschaffene Übersetzung als Symbol wird behandeln können. Nur scheint
mir, Gundolf hält diesen Weg für tiefer verschüttet, als er gewesen ist.

Solch Fortsetzer würde dann z. B. wohl in Otto Ludwigs Skakespearestudien ein
stärkeres Symptom einer neuentstehenden, von Schiller weg und über die Romantik
hinausführenden Erfassung Shakespeares sehen. Denn obwohl der bewußte Aus-
gangspunkt des Buches wieder ein technisch-formaler ist, also einer Tendenz ange-
hörig, die Gundolf schon betrachtet hat, so ist doch das zugrundeliegende Gefühl
von Shakespeare neu, und mir scheint, vieles davon geht unmittelbar auf Gundolfs
eigenes Erleben zu. Freilich reifen konnte dies Gefühl nicht in jenem Zeitalter.

Gundolf gibt dem künftigen Historiker der Shakespeareaufnahme in Deutschland
seit der Romantik einen wichtigen Gesichtspunkt mit: daß die passive Kraft dieses
Jahrhunderts der freilich oft irregeführte Wille zur Wirklichkeit ist, das
tiefste Verlangen dieses Jahrhunderts. Diese Wirklichkeit, die noch das Bildungs-
zeitalter, die noch Schlegel nicht völlig ertrug, wir ersehnen sie heute mit allen

zum ersten Male die zentrale Stellung an in der spezifisch romantischen Rezeption
Shakespeares. Eine Akzentverlegung nur — aber eine entscheidende!
 
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