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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0502
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BESPRECHUNGEN.

Doch auch bei geradem Takt ist diese Verschiebung nicht unmöglich: Nehmen
sie den Leib heißt es in Luthers Ein feste Burg, und auch in Lowes Prinz Eugen
kippt die Betonung bei der Nachahmung der Volksmelodie am Schlüsse bedenklich
über: ... zu der Marketenderin, und in Die Trepp' hinunter ... Da sangen die
Vöglein ...

(Scherzhaft ist solche Betonung benutzt im Mädchen am See: Du nur bist
meine Freude'.)

Damit sind wir bei den schieftaktigen Betonungen, die immer eine höchst
originelle Melodie abgeben. Hierin tun sich besonders die amerikanischen Cake-
walks hervor:

Lotte du süße Maus,

Anton, ach kauf mir doch ein Automobil,
neuerdings: Im Schatten grüner /Matten usw.

Diese höchst instruktiven Melodien bringen uns zu der Frage: Was ist eigent-
lich Akzent? Offenbar etwas höchst Unmaterielles, Unmeßbares, denn in Lowes

da sangen die Vög-lein mit lau - tem Schall
fällt er dennoch nicht auf (san)gen und (Vög)Iein, obgleich diese Noten sowohl
höher als auch länger sind als san- und Vög-; von der Höhe und Dauer hängt er
also nicht ab, und auch die Intensität kann man dadurch ausschalten, daß man sich
das Lied auf einem Leierkasten gespielt denkt: trotzdem würde er nicht völlig auf
gen und lein hinübergleiten. Oder soll man sich denken, daß nur die bisherige
rhythmische Stete des Liedes diese Extravaganz erlaubt, daß wir den Wechsel
im Rhythmus nur nicht empfinden, und die Tatsache, daß man das (lau) tem nicht
als stärker betont empfindet als das lau, dadurch erklären, daß beide von Schall
übertönt und gebunden werden?

Wie dem auch sei, mit solchen schwebenden Betonungen kann eine Melodie
nicht ganz unoriginell sein. Man vergleiche einen Gassenhauer von V. Holländer:

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Abends
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nach Neu-ne
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sollen zwei Ver-lieb-te nie al-

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lein spazieren gehn; denn so im Dunkeln, beim Ster - ne

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fun - kein kann sehr leicht ein gräßliches Mal - heur ge - schehn.

Hier scheint mir die gleitende Bewegung eine lüstern-laszive Bewegung aus-
drücken zu sollen: gewiß verwerflich, gewiß nicht schön — aber »originell«. Es
ist der witzige Einfall (der mit Kunst noch gar nichts zu tun hat), der dem Gassen-
hauer seine Existenzberechtigung verleiht, ebenso wie ein guter Witz seine Existenz-
berechtigung hat, und den Penkert so sehr vermißt.

Und er hätte ihn im Gassenhauer so häufig finden können. Der Eindruck
gleitender Betonung entsteht nämlich schon, wenn am Schlüsse eines Verses usw.
 
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