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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0503
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BESPRECHUNGEN.

499

(in pausa) mit zweisilbigem Ausgang die betonte Reimsilbe zu kurz ist (nämlich
kürzer als '/z-Takt), weil dabei der ihr zukommende Tonfall, der die Tendenz hat,
sie ins zweite Viertel hinüberzudehnen, eben noch die dann in diesem zweiten
Viertel stehende sonst unbetonte Note trifft, die nun ihrerseits das zweite und das
ihr zustehende dritte Viertel einnimmt, also länger als die betonte ist und deshalb
mit einem Nebenton versehen erscheint. Z. B.:

Wohlauf, die Luft geht frisch und rein, wer lange sitzt,

i

es

-r.

--t-

T^r-

statt:

1 ) (normal)

muß rosten

muß

rosten

Dasselbe findet sich auch in Linckes Ninetta, Ninetta, sogar in dem schreck-
lichen

Schatz, mach Kas-se,
in der Petite Tonkinoise:

Pourqu' je finis-se Mon servi-ce ...
und Je suis gobe d'une petite usw.

Was Penkert von alledem angeführt hat, wie Z.o/te, du süße Maus, hat auf ihn
offenbar nur den peinlichen Eindruck schlechter Betonung gemacht. Wir aber haben
uns wohl überzeugt, daß die originelle Melodie sich um die Betonung des Textes
nicht im mindesten kümmert — daß man eher im Gegenteil sagen könnte: Je
eigenwilliger die Melodie, desto notwendiger wird sie mit dem
Rhythmus des Textes in Konflikt kommen; und wenn es Penkert ge-
lungen wäre, zu zeigen, daß die Gassenhauer sich zu ihren Texten selbständig ver-
halten, so hätte er damit ein zwar nicht hinreichendes, aber doch wesentliches
Kennzeichen ihres Wertes gegeben! Die Zitate aus Löwe, Mozart und Weber be-
weisen das zur Genüge.

So kann ich auch nicht einmal böse werden über jene Leistung der Firma
J- Freund & R. Nelson, die es fertig bekommen haben, ein- und zweisilbige Reime
unter denselben musikalischen Hut zu bringen:

(Duft'ge Parmaveilchen.)

=t

3-

X=T

Denkst Du da - ran
Seit jenem Tag,

zurück wie
Kleiner, führ

wir
ich

den
Dich

ersten Blick
an Deiner

tauscht ?
'rum . . .

Also eine gewisse Originalität läßt sich den Gassenliedern nicht absprechen —
wodurch hätten sie sich auch bei der ungeheuerlichen Zahl ihrer Konkurrenten
siegreich durchgesetzt? Schreibt doch derselbe Komponist für jede Operette oder
Revue immer gleich ein Dutzend solcher eliminierbaren Sächelchen, von denen doch
nur das eine oder andere ein »Schlager« wird. Was Penkert an ihnen tadeln
könnte, ist vielleicht das Vorwiegen des Witzes gegenüber dem Gemüt. Aber der
advocatus diaboli muß gestehen, daß ihm die »lustigen« denn doch bei weitem
Heber sind als die sentimentalen; und was die Abschätzung der Qualität eines Ge-
dankens in Bezug auf gedankliche und Empfindungselemente betrifft, so ist das
e'ne sehr heikle Aufgabe: ich persönlich halte manche Gedichte Heines, die andern
als sehr gemütvoll gelten, für »bloß« gedanklich.
 
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