532 • HEINRICH WIRTZ.
gar keine Bewegung ist, im feinsinnigen Dialog, wo die Poesie im Inhalt und in
den feinen Nuancen der Klänge und subtilsten Gefühle liegt? Es gibt in meinen
Protokollen solche Versuchspersonen, welche bei objektiver Betrachtung des ästhe-
tischen Gegenstandes ein Miterleben und beim Miterleben des ästhetischen Gegen-
standes dieses Erleben ohne Einfühlung haben. Die Organempfindungen sowie
auch die inneren Nachahmungstendenzen scheinen mir etwas sehr Sekundäres im
ästhetischen Erleben zu sein, sie sind nur Begleiterscheinungen des Genießens. Das
Miterleben, wie es vielfach gemeinsam in und mit der sympathischen Einfühlung
auftritt, ist wesentlich gefühlsmäßig fundiert, und zwar möchte ich die Priorität des
Gefühls vor der Empfindung behaupten. Darauf weisen mich auch die Äußerungen
der Versuchspersonen, daß sie ästhetische Lust ohne irgend welche Körperempfin-
dungen gehabt haben.
Die Analyse des Miterlebens hat demungeachtet durch Groos eine
starke Förderung erfahren. Ich will den" Zusammenhang des Mit-
erlebens mit der von mir gesuchten Aktivität kurz dartun. Miterleben
bedeutet eine Tätigkeit, und wenn eine Versuchsperson sich in einen
ästhetischen Gegenstand einfühlt, so vollzieht sich diese Tätigkeit.
Ob diese innere Aktivität eintritt oder nicht, danach hat man die
ästhetischen Beobachter eingeteilt in »mitspielende« und »zuschauende«,
wobei man den ersteren das tiefere ästhetische Genießen zuzusprechen
pflegt. Das hat zweifelsohne seine Berechtigung, wenn man das
ästhetische Erlebnis bloß auf den jeweilig erlebten Reiz bezieht. Aber
für das allgemeine ästhetische Erleben, in dem eine einzelne ästhetische
Anschauung nur ein Ausschnitt zu sein braucht, trifft dies nicht mehr
zu, denn sonst müßte man dem objektiv Betrachtenden, demjenigen,
der sich nicht in das ästhetische Objekt einfühlt und es nicht mit-
erlebt, weniger ästhetisches Erleben zusprechen als dem Miterlebenden.
Man darf aber meiner Ansicht nach für die Tiefe eines ästhetischen
Genusses nicht den Grad der Einfühlungs- und Miterlebensfähigkeit
verantwortlich machen. Denn es ist allgemeine Tatsache, daß sehr
naive und künstlerisch nicht gebildete Menschen schneller und leichter
»Mitspieler« sind, als ästhetisch Gebildete. Dieser Gegensatz wird
dadurch nicht aufgehoben, daß man beide Typen von ästhetischen
Betrachtern mit den ihnen entsprechenden Kunstwerken in Relation
bringt, d. h. daß man den weniger ästhetisch Gebildeten und sein
schon auf minderwertige Kunstwerke reagierendes Seelenleben mit
dem Kunstgenießen des künstlerisch Gebildeten, das sich an hoch-
' wertigen Kunstwerken betätigt, in Beziehung und Vergleich setzt.
Vielmehr bleibt die Tatsache bestehen, daß der ästhetisch Geschultere
— es wird natürlich von dem Ästheten oder künstlerisch Über-
kultivierten abgesehen — mehr objektiv betrachtet und dabei doch
zu tiefen Erlebnissen kommt. Man darf auch nicht sagen, daß dieser
letzte Typus durch das kunsthistorische, technische und in künstle-
gar keine Bewegung ist, im feinsinnigen Dialog, wo die Poesie im Inhalt und in
den feinen Nuancen der Klänge und subtilsten Gefühle liegt? Es gibt in meinen
Protokollen solche Versuchspersonen, welche bei objektiver Betrachtung des ästhe-
tischen Gegenstandes ein Miterleben und beim Miterleben des ästhetischen Gegen-
standes dieses Erleben ohne Einfühlung haben. Die Organempfindungen sowie
auch die inneren Nachahmungstendenzen scheinen mir etwas sehr Sekundäres im
ästhetischen Erleben zu sein, sie sind nur Begleiterscheinungen des Genießens. Das
Miterleben, wie es vielfach gemeinsam in und mit der sympathischen Einfühlung
auftritt, ist wesentlich gefühlsmäßig fundiert, und zwar möchte ich die Priorität des
Gefühls vor der Empfindung behaupten. Darauf weisen mich auch die Äußerungen
der Versuchspersonen, daß sie ästhetische Lust ohne irgend welche Körperempfin-
dungen gehabt haben.
Die Analyse des Miterlebens hat demungeachtet durch Groos eine
starke Förderung erfahren. Ich will den" Zusammenhang des Mit-
erlebens mit der von mir gesuchten Aktivität kurz dartun. Miterleben
bedeutet eine Tätigkeit, und wenn eine Versuchsperson sich in einen
ästhetischen Gegenstand einfühlt, so vollzieht sich diese Tätigkeit.
Ob diese innere Aktivität eintritt oder nicht, danach hat man die
ästhetischen Beobachter eingeteilt in »mitspielende« und »zuschauende«,
wobei man den ersteren das tiefere ästhetische Genießen zuzusprechen
pflegt. Das hat zweifelsohne seine Berechtigung, wenn man das
ästhetische Erlebnis bloß auf den jeweilig erlebten Reiz bezieht. Aber
für das allgemeine ästhetische Erleben, in dem eine einzelne ästhetische
Anschauung nur ein Ausschnitt zu sein braucht, trifft dies nicht mehr
zu, denn sonst müßte man dem objektiv Betrachtenden, demjenigen,
der sich nicht in das ästhetische Objekt einfühlt und es nicht mit-
erlebt, weniger ästhetisches Erleben zusprechen als dem Miterlebenden.
Man darf aber meiner Ansicht nach für die Tiefe eines ästhetischen
Genusses nicht den Grad der Einfühlungs- und Miterlebensfähigkeit
verantwortlich machen. Denn es ist allgemeine Tatsache, daß sehr
naive und künstlerisch nicht gebildete Menschen schneller und leichter
»Mitspieler« sind, als ästhetisch Gebildete. Dieser Gegensatz wird
dadurch nicht aufgehoben, daß man beide Typen von ästhetischen
Betrachtern mit den ihnen entsprechenden Kunstwerken in Relation
bringt, d. h. daß man den weniger ästhetisch Gebildeten und sein
schon auf minderwertige Kunstwerke reagierendes Seelenleben mit
dem Kunstgenießen des künstlerisch Gebildeten, das sich an hoch-
' wertigen Kunstwerken betätigt, in Beziehung und Vergleich setzt.
Vielmehr bleibt die Tatsache bestehen, daß der ästhetisch Geschultere
— es wird natürlich von dem Ästheten oder künstlerisch Über-
kultivierten abgesehen — mehr objektiv betrachtet und dabei doch
zu tiefen Erlebnissen kommt. Man darf auch nicht sagen, daß dieser
letzte Typus durch das kunsthistorische, technische und in künstle-