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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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Major, Erich: Die Notwendigkeit einer Ästhetik vom Standpunkte der Produktivität
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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0587
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580 ERICH MAJOR.

liehe Verfiachung, in welche die Ästhetik durch die ausschließliche
Anwendung der Kategorien Lust und Unlust geraten müßte, ist von
Max Dessoir erkannt worden, der in seiner Ästhetik den Vorschlag
erneuert, das Lebenerhöhende und Lebensteigernde an Stelle des Lust-
prinzipes zu setzen. Auch Müller-Freienfels hat in seiner Psychologie
der Kunst den biologischen Wert an Stelle des reinen Lustwertes ge-
setzt und das ökonomische Prinzip als wichtigen Faktor hinzugefügt.
Allein diese Versuche, das Ästhetische aus dem rein Lustvollen heraus-
zuheben, so dankenswert und bedeutungsvoll sie sind, erscheinen noch
immer als zu sehr ins Allgemeine gehend, als ungenügend für die
eigentliche und scharf zu bestimmende Wesenheit der Kunst. Allzu-
leicht ist hier eine Vermischung mit dem Religiösen und Ethischen
möglich; Lebensgefühl ist überhaupt ein allzu vages Wort, dessen
Inhalt nicht recht faßbar erscheint.

Wir glauben, daß eine viel speziellere und einfachere Kategorie hier
anzuwenden ist. Wir glauben, daß die Kunst den Sinn hat, Liebes-
werte zu schaffen und die vorhandenen durch Verewigung im toten
Stoff zu steigern und durch dieses Gefühl einer (freilich imaginären)
Dauer zu beruhigen und zu verklären. Wir finden den Gedanken des
Liebeswertes der Kunst klar ausgedrückt und in schöner Entwicklung
bei Cohen (Ästhetik des reinen Gefühls), nur freilich in idealistischer
Form als Liebe zur einheitlichen Menschennatur, wo Körper und Geist
in voller Harmonie sind. Der Verfasser1) kann jedoch die Priorität
dieses Gedankens insofern in Anspruch nehmen, als das Werk Cohens
1912 erschienen ist, während im Juni 1911 bereits die Grundlinien der
hier entwickelten Ideen in einem Aufsatze der Österr. Rundschau!) ent-
halten waren. Allein auch Taine, Möbius, Burckhardt und Jerusalem
haben das Liebesmoment als besonders wichtig für das Künstlerische
bezeichnet und wir wollen nunmehr den Beweis unserer Behauptung
antreten. Max Scheler weist in seinem kleinen Buche: »Zur Phäno-
menologie und Theorie der Sympathiegefühle« tadelnd darauf hin,
wie wenig Sinn die landläufige Psychologie für Gefühle, wie Liebe in
höherem Sinne, habe. Wir müssen demgemäß mit Mitteln arbeiten,
die der wissenschaftlichen Beobachtung des Normalen, um welche
sich die heutige Ästhetik so sehr müht (als wäre nicht alles Künstlerische
in gewissem Sinne abnorm, zum mindesten gesteigerte, oft bis zur
Krampfhaftigkeit erhöhte Normalität!), abgewendet sind. Wir können
jedoch schon insofern einen Vorteil aus unserem Grundbegriff ziehen,

') Von dem ein Werk >Die Grundkräfte des künstlerischen Schaffens« bei Klink-
hardt und Biermann erschienen ist.

2) Unter dem Titel: »Versuch einer Kritik der realistischen Kunst«.
 
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