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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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Buchenau, Artur: Zur methodischen Grundlegung der Cohenschen Ästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0623
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616 BEMERKUNGEN.

dem der deutsche Geist mit der Urkraft des Griechentums zusammenhängt, und wo
dieser Zusammenhang erstrebt und erreicht wurde. In ihm ist die Wurzel des
wissenschaftlichen Geistes der Humanität gesucht und zu neuem Wachstum befreit
worden. Alle geistige und sittliche Kraft des Deutschtums zumal und alle Zuver-
sicht für den wahrhaften Fortschritt, aller Glaube an die Zukunft der Kulturvölker
hat in diesem griechischen Idealismus seine lebendige, unerschöpfliche und durch
keine andere Kultur ersetzbare Quelle. So gilt es, dieses Wort als Mahnwort zur
unaufhörlichen Rechtfertigung der Kultur vor dem alleinigen Forum der wissen-
schaftlichen Vernunft heilig zu halten.

Wie ist nun die Grundlegung einer solchen idealistischen, das heißt: syste-
matischen Ästhetik zu vollziehen? Die Antwort auf diese Frage sucht der erste
Band der Cohenschen »Ästhetik« zu geben, während der zweite die Anwendung
der Ästhetik auf die einzelnen Künste erörtert. Um den Eingang zur Cohenschen
Problemstellung zu finden, wird es erforderlich sein, zunächst den Terminus des
»Reinen« zu betrachten, den Cohen ebenso wie Plato und Kant zu einem Pfeiler
seines Systems macht, während charakteristischerweise die philosophische Romantik
damit nicht viel anzufangen weiß. Indem dem Terminus der Reinheit der Wert der
metho disehen Erzeugung zugesprochen wird, entsteht und ersteht für das
erste Gebiet der Kultur die »Logik der reinen Erkenntnis« und für das zweite die
»Ethik des reinen Willens«. Denn die reine Erkenntnis umfaßt den gesamten Ap-
parat jener Grundlegungen, welche das Quellgebiet der in der Mathematik basierten
Naturwissenschaft bilden, und ebenso bezeichnet der reine Wille, im Gegensatz zu
allen Naturbedingungen tierischer Instinkte und wirtschaftlicher Antriebe, die spezifisch
menschliche Grundlage für eine Entwicklung der Menschheit in der Geschichte der
Völker, daher zugleich aber auch die Grundlegung für die Idee des Menschen
selbst als eines sittlichen Individuums, als einer Einheit aus dem Gesichtspunkte
der Ethik. Das Bewußtsein der Kultur ist nun aber durch Wissenschaft und Sitt-
lichkeit nicht ausgefüllt; die Geschichte der Kultur lehrt uns, daß der Begriff
der Kultur nicht erschöpfend durch Wissenschaft und Sittlichkeit bestimmt wird.
Diese Lehre, die ja allerdings an und für sich betrachtet nur eine faktische Mahnung
ist, hat dennoch keine geringere Kompetenz, als welche auch in der Faktizität der
Wissenschaft und der sittlichen Kultur in Recht und Staat besteht. Zu diesen
»Welten« der Natur und der Sittlichkeit tritt nun als dritte die »Welt der Kunst«,
jenes absonderliche »Faktum« der geistigen Kultur, das in seiner Gesetzlichkeit
(wofern es eine hat!) zu verstehen der Terminus des »Reinen« seine ewige Mahnung
aufstellt.

Ist so im Begriff des »Reinen« an Kant anzuknüpfen, so ist doch anderseits
ein Hinausgehen über seine Positionen geboten. Denn Kant hat zwar das ästhe-
tische Problem als ein eigenartiges und selbständiges erkannt, aber dann der Ästhetik
doch nicht eine eigene Kritik eingeräumt, sondern sie als ästhetische Urteilskraft
mit der teleologischen zusammengespannt, worin gewiß ein Mangel an Klarheit und
Sicherheit zu sehen ist. Und doch liegen hierin nicht nur Fehler und Schwächen,
sondern zugleich auch fruchtbare Keime und Ansätze. Wurde doch bekanntlich
Goethe vorzugsweise durch die dort eingesetzte Verbindung von Natur und Kunst
für die erste Befreundung mit Kants Lehre gewonnen '). Trotz dieses Mangels Kants
bleibt es eine Tat wahrhafter Originalität der Systematik, daß nunmehr die Ästhetik
als ein selbständiges, gleichwertiges Glied im System der Philosophie zustande

') Siehe hierzu meinen Aufsatz: Goethe und Schiller in ihrem Verhältnis
zum Kantischen Idealismus. (Zeitschr. für Iateinl. höh. Schulen. 1912. Okt.-Heft.)
 
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