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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0649
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642 BESPRECHUNGEN.

Hart von »unsagbaren Schaudern« (S. 293), nicht »Schauern«, spricht, so ist dies
eine jener verwegenen Pluralbildungen, welche er überhaupt so sehr liebt und mit
denen er Lesern von etwas feinerem Sprachgefühl wahre Torturen antut. Alle
Augenblicke (S. 72, 82, 105, 176) heißt es »Sinne« oder »Wortsinne«, S. 77 gar
»Gegen- und Doppeltsinne«, wo unter »Sinn« natürlich »Bedeutung« zu verstehen
ist, obschon das Wort Sinn einen Plural bekanntermaßen nur dann zuläßt, wenn
es den psychologisch-physiologischen Begriff ausdrückt. Den »Sinnen« als Bedeu-
tungen stellen sich die »Hinsichten« S. 148 ebenbürtig an die Seite, so daß die
»Wortschalle« (S. 62), »Wortschälle« (S. 273 u. 280) und einfachen »Schälle« (S. 80)
das Gehör kaum noch sonderlich martern und man nur etwas Folgerichtigkeit
— entweder »Schalle« oder »Schälle« — wünschen möchte. Aber in dem Bemühen,
recht wirksam und eindringlich zu schreiben, vervielfältigt Hart offenbar »Sinn«,
»Schall« und »Hinsicht« ähnlich, wie er das »stets« zum »durchaus stets« (S. 208),
das »zahlreiche« zum »allerhand zahlreiche« (S. 147) steigern zu müssen glaubt und
mit der Verschmelzung von »Grundsatz« und »Behauptung« im »Grundbehauptungs-
satz« (S. 300) wohl den stärksten Eindruck des als fundamental und positiv Ge-
dachten zu erzielen hofft. Von diesem Standpunkte aus sind jedenfalls auch die
erwähnten Lieblingseinschiebsel zu beurteilen: die Konstruktionen mit »nur«, »nur
gerade«, »nur gerade nicht«, »aber gerade« usw., was selbstverständlich ergänzt
werden muß zu »nichts anderes als nur«, »alles andere nicht, nur gerade«, »alles,
nur gerade nicht«, »nichts von allem sonst, aber gerade« usw., sind stärker, drasti-
scher als die schlichten Bejahungen und die Verneinungen durch das einfache
»nicht«. Neben dem Kräftigen aber sucht Hart das Ungewöhnliche, von dem allge-
meinen Sprachgebrauche sich Entfernende. »Apart! Ob nun aufgebauscht, geziert
oder burschikos, volksmäßig leger! Apart vor allem!« Das ist seine Losung. Darum
hat er eine besondere Passion für Bildungen wie »eine einzige, gleiche und selbe«
(S. 70) oder — noch schöner! — »des einen und denselben gleichen Urteils« (S. 290)
oder »allumfassendes jegliches Schönheitsgefühl« (S. 156) — eine Art der Wortver-
bindung, die in kleinen Variationen sich so oft wiederholt, daß ich darauf ver-
zichten muß, alle einzelnen Fälle anzuzeichnen. Ein solcher Sprach schöpf ungsdrang
begnügt sich natürlich nicht mit Umänderung des Geschlechts und Einführung von
Pluralen, wie in den obigen Beispielen, sondern ersinnt völlig neue Worte. Eines
derselben präsentiert sich in dem »Schöngefühl«. Daß Hart »das Schönheitsgefühl«
und »das Schöne« synonym setzt, ist, wie gezeigt, im Grunde schon ein Sprach-
schnitzer, welchen indes nur diejenigen bemerken, die an eine begrifflich sehr
scharfe Ausdrucksweise gewöhnt sind. Bezeichnet der Verfasser S. 104 die moderne,
streng psychologische, von den normativen Aufgaben sich gänzlich losmachende
Ästhetik als »rein objektivistische«, so entsetzt sich jeder, der die wissenschaftliche
Terminologie kennt und also weiß, was »Objektivismus« in der Ästhetik bedeutet; allein
es gerät eben nur der Fachmann, der philosophisch Gebildete in Harnisch. Wenn
jedoch von »Schöngefühlen« gesprochen wird, als wären es alte Bekannte, so müssen
überhaupt alle aus der Haut fahren, die Deutsch können und die eine Empfindung
dafür haben, was in unserer Sprache möglich ist und was nicht. Sogar ein unge-
wöhnlich belesener Mensch wird diesem Worte an der bezeichneten Stelle des Hart-
schen Buches zum ersten Male begegnet sein und nicht anders wird es ihm mit
dem »augenblicklichen, jetzt menschheitlichen Erfahrungssein« (S. 163), mit der
»Kunsttheoretik« (S. 99 u. 137), mit dem Ausdruck »zuteil« im Sinne von »teilhaft«
(S. 314), mit »verschiedenfachste« (S. 208) und mit »begrifflichen« (S. 309) gehen.
Denn Harts »begrifflichen« ist beileibe nicht, wie man beim Anblicke des isolierten
Wortes glauben möchte, eine Flexionsform des Adjektivs »begrifflich«, sondern es


 
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