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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0651
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644 BESPRECHUNGEN.

hier auch alles in Ordnung, wenn das kunstpsychologische Wissen des Verfassers
gut begründet wäre; doch leider erweist sich seine große Arbeit zum beträchtlichen
Teil als unnütz: wo das Problem beginnen würde, da bleibt er stehen. Wir können
dieses sonderbare Fangspiel fünfzehnhundert Seiten hindurch beobachten; unmittel-
bar vor den psychologischen Problemen macht er Halt in seinem Suchen nach der
letzten Ursache. Mir scheint deshalb Deonnas Werk eine vortreffliche Gelegenheit,
dies öfter vorkommende Verfahren genau in Augenschein zu nehmen. Ich tue
dies umso lieber, weil ich der sehr ernsten Arbeit eines weitblickenden Schrift-
stellers gegenüberstehe.

Deonna geht von der Untersuchung der archäologischen Methodik aus und
stellt fest, daß die Kunst eine Entwicklung bedeutet, und zwar sieht auch er eine
einheitliche Entwicklungsreihe, deren Basis das Verhältnis des Künstlers zur Natur
bildet. Der Ausdruck dieses Verhältnisses ist, je nachdem der Künstler sich
streng an das Vorbild der Natur hält oder es nach schon früher empfangenen Ideen
umwandelt, ein doppelter: es gibt eine ideale und eine reale Kunst. Deonna konstruiert
in der Aufeinanderfolge dieser beiden Arten von Kunst eine Entwicklungslinie, deren
Verlauf ständig hin und her pendelt. Das ist ihm das tiefste Gesetz der Kunst-
entwicklung, und die Darlegung dieses Gesetzes betrachtet er als seine Aufgabe.
Er beginnt mit der Geschichte der Archäologie bei den Griechen, bei den Römern,
in der Renaissance, gelangt zu Winckelmann, dem Begründer der modernen Archäo-
logie, und erörtert die Methoden dieser Wissenschaft, indem er die Quellen ihrer
Irrtümer aufdeckt. Eine solche ist in erster Reihe das Festhalten an falschen
Dogmen, das mit dem Haß gegen neue Wahrheiten Hand in Hand geht. Ein
falsches Dogma ist der Glaube an die griechische Vollkommenheit, an den in der
griechischen Kunst angeblich vorherrschenden Charakter der edlen Einfalt, da doch
neuere Untersuchungen den Beweis erbrachten, wie viele verschiedene Ziele in der
griechischen Kunst von Epoche zu Epoche, richtiger: von Individualität zu Indivi-
dualität geherrscht haben. Zu methodischen Irrtümern führen auch die logischen
Übertreibungen, wie sie sich z. B. bei der Frage des Ursprunges der Kunst offen-
baren. Es ist nicht nur schwer, sondern geradezu unmöglich, die eine Kunst aus
der andern herzuleiten, und schwierig ist es auch, das Gesetzliche im Nacheinander
des jeweilig gebrauchten Materials festzustellen, denn bei dem Künstler — wie wir
sehen werden — ist immer das Phantasiebild das Primäre und das Material wird
erst nachträglich zu diesem gewählt. Das sehr bequeme Verfahren, alles auf eine
und dieselbe Ursache zurückzuführen, ist nicht neu. Derlei Versuche gab es immer,
nur der Inhalt wechselt: Einmal steht das etruskische Wunder in voller Blüte (le
mirage etmsque), ein andermal das östliche Wunder; hierauf kam das phönizische
Wunder, um alsobald dem europäischen Platz zu machen, worauf der Pankretismus,
dann der Panionismus das Feld beherrschte. Doch sie alle waren Eintagshypothesen
und im Grunde nicht mehr als logische Spiele.

Dies alles zeigt Deonna durchaus überzeugend. Er weist auf die methodo-
logischen Irrtümer hin, die entstehen, wenn sekundäre Ursachen für primäre ge-
nommen werden, z. B. wenn die Künste rein von der Religion abgeleitet werden.
Der Religion kommt in der Entwicklung unzweifelhaft eine sehr große Rolle zu,
aus ihr können sehr viele — w6nn auch nicht alle — Erscheinungen erklärt werden.
Auch beleuchten sicherlich viele Nachbarwissenschaften (die Philologie, Medizin,
Soziologie, Chemie, Mathematik) das eine oder das andere archäologische Problem,
und mit Hilfe der Summe von allem dem kommen wir dem Ziele der Archäologie:
der Verlebendigung der Vergangenheit, näher. Das ist gar nicht so einfach, wie
es den Schein hat. Der Geschmack wechselt von Epoche zu Epoche und mit ihm
 
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