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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0661
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654 BESPRECHUNGEN.

andere Mittelgattung sind »idealisierte oder heroisierte Veduten«. Die Einwirkung
der dekorativen Wandmalerei und der Bühne auf die ideale Landschaft, die dem-
zufolge selbst eine gewisse dekorative Wirkung anzustreben pflegt, wird hervor-
gehoben, ebenso die besondere Bedeutung der italienischen Maler für dieses
Schaffensgebiet sehr hübsch an den klassisch edeln Formen der südlichen Vegetation
nachgewiesen.

Der nun folgende^ historische Teil, der den Hauptbestand des umfangreichen
Bandes ausmacht, leidet, wie schon gesagt, an zu großer Ausführlichkeit, die das
eigentliche Thema streckenweise ganz in den Hintergrund treten läßt. Der Ver-
fasser gibt nicht nur einen Abriß der Geschichte der Landschaftsmalerei überhaupt
bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, sondern er hält es sogar für nötig, auf die Ent-
wicklung der Kompositionsweise im allgemeinen einzugehen und beispielsweise
Werke wie die Schule von Athen oder Tizians Madonna Pesaro, in denen nichts
von Landschaft zu sehen ist, mit ausführlichen Analysen und selbst mit Abbildungen
und schematischer Darstellung der »Kraftlinien« in dem beigegebenen Bilderheft zu
bedenken. Um das erste prinzipielle Auftreten der idealen Landschaft in der Malerei
der Spätantike nachzuweisen, glaubt er eine Übersicht über die Geschichte der
Landschaftsmalerei seit der Urzeit vorausschicken zu müssen usw. Doch von
solchen Dispositionsfehlern — die natürlich um so peinlicher empfunden werden,
als die Darstellung schließlich vor dem eigentlichen Ziel abbricht — abgesehen,
wird man viele Partien des Buches mit Interesse lesen und sich an der feinfühligen
Interpretation mancher Werke Michelangelos und Tizians namentlich erfreuen. In
dem immerhin noch sehr ausführlichen »Rückblick« am Schlüsse des Bandes
(S. 481—532) mag dann auch der weniger geduldige Leser sich über die von dem
Verfasser eingehaltenen Richtlinien der Betrachtung orientieren. Die kompositionellen
Errungenschaften der antiken Landschaftsmalerei fristen in der mittelalterlichen
Kunst zu stenogrammartigen Typen abgekürzt ein dürftiges, oft kaum erkennbares
Dasein. Erst mit Giotto tritt die Landschaft als kompositioneller Faktor in psycho-
logischer Wechselwirkung mit den menschlichen Gestalten wieder hervor und er-
öffnet uns Perspektiven auf Masaccio, Ghirlandajo, Perugino und die Großmeister
der idealen Landschaft im 16. Jahrhundert. Im Norden ist, wenn auch mit charak-
teristischer Betonung des mehr gefühlsmäßigen Zusammenklangs, die Kunst der
Eycks ein ähnlicher Ausgangspunkt neuer Entwicklung wie Masaccio; in der
deutschen Malerei darf Konrad Witz als ein Meister organischer Naturgestaltung
und stimmungsvoller Naturbeseelung die führende Stellung beanspruchen. Mantegna
und Fra Bartolommeo wird für die Entwicklung zur idealen Landschaft hin eine
besondere Wichtigkeit zugewiesen, Leonardo setzt auch hier den inneren Rhythmus
an Stelle des äußeren; aber erst Michelangelo, so spärlich das landschaftliche Element
in seinen Kompositionen auftritt, beschreitet nach der Auffassung des Verfassers den
direkten Weg zur stilisierenden idealen Landschaft.

Durch seine Kunst des koloristischen Stilisierens eröffnet Correggio der Ideal-
landschaft neue Bezirke einer transzendentalen Stimmungswirkung; Giorgione, in
formaler Hinsicht gleich ihm zunächst auf der älteren paduanisch-venezianischen
Schule fußend, faßt als erster Landschaft und Menschen zu einem einheitlichen
Organismus zusammen, den ein geheimnisvolles Lichtleben beseelt erscheinen läßt.
Was er im Bereiche des Idyllischen anbahnt, das führt Tizian als Dramatiker zur
Vollendung, zumal durch Ausbildung des Prinzips ungleicher Massenakzentuierung,
das dem Zusammenwirken von Figuren und Landschaft ganz neue Wirkungsmög-
lichkeiten eröffnet; in ihm gipfeln Entwicklungsbahnen der idealen Landschaft, die
bis auf das klassische Altertum zurückverfolgt werden können.
 
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