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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0510
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506 • BESPRECHUNGEN.

Casino Rospigliosi eilte und die Aurora sah. Abends ging ich nach S. Pietro in
Montorio und dann in eine Kneipe vor Porta S. Pancrazio und trank einen halben
Liter, und als ich wieder nach S. Pietro in Montorio hinging, war es gegen Sonnen-
untergang und die näheren Teile der Stadt schon im Dunkel, alles übrige aber,
vom Pincio bis zum Lateran, in feuriger Sonnenglut, und in Frascati funkelten alle
Fenster! Da habe ich doch heulen müssen.«

Nun greife ich noch zur näheren Charakteristik dieser Briefe einige Stellen
heraus, die mir besonders interessant erscheinen: »Ganz rührend war's heute im
großen Saal des Museo capitolino, wo die Zentauren stehen; es war Öffnungstag,
und auch armes Volk von Rom lief herum; eine gute alte Frau mit einem Kinde
fragte mich ganz erschrocken, wo solche Kreaturen vorkämen? und ich mußte sie
beruhigen, daß dies nur immaginazioni de' scultori seien, perche, fügte ich weise
hinzu, sarebbe dl troppo Vintelligenza deW uomo insieme colla forza del cavallo. Aber
ist es nicht eine herrliche Sache, für ein Volk zu meißeln, das auch das Kühnste
für wirklich hält? das vielleicht noch die allegorischen weiblichen Figuren für Sante
persone hält? während ja im Norden jedes Kind a priori weiß, daß die Kunst nur
Spaß sei.« Wir müssen ja in keiner Weise der hier vorgetragenen Auffassung bei-
pflichten und können es doch als seltsamen Reiz empfinden, wie Burckhardt der-
artige winzige Geschehnisse in seine großen Gedankengänge hineinstellt; aber
noch fesselnder ist wohl seine Stellung zur modernen Kunst: »ohne Begleitung
wage ich mich zwar unter jede beliebige Masse alter Kunstwerke, unter neuen
aber graust es mir, wenn ich so ganz allein bin, und bei den bedeutendsten Malern
unserer Zeit werde ich in der Regel ballotiert zwischen Bewunderung für das
Können und Abscheu gegen das wirkliche Machen. Seit Eugene Delacroix muß
man bei vielen Malern Frankreichs und auch Europens zuerst eine persönliche Be-
leidigung des Schönheitssinnes einstecken und dann keine Miene verziehen und zum
Darstellungstalent das Beste sagen. In dieser Weise affrontiert mich von den
großen Meistern der Vergangenheit niemand als etwa Rembrandt.« Welch ernstes
Ringen nach gerechter Beurteilung spricht aus diesen Worten! Zugleich scheint
mir hier ein Problem aufgeworfen, das überaus schwer zu beantworten ist. Ver-
hält es sich wirklich so, daß Bewunderung für die darstellerische Leistung und
ästhetischer Abscheu reinlich geschieden werden können? Innerhalb gewisser
Grenzen geht dies ganz gewiß; aber berührt mich nicht etwa das Können, das
ästhetische Mißgeburten zeitigt, letzten Endes als etwas Sinnloses und Verkehrtes?
Lipps gibt in seiner Ästhetik ein treffliches Beispiel: wenn jemand in täuschendster
Weise das Grunzen der Schweine nachahmt, mag ich ja die Schwierigkeit der
Leistung anerkennen, dennoch beurteile ich sie als sehr minderwertig. Und viel-
fach erschließt sich mir erst die Einsicht in das Können aus dem Erfassen des
künstlerischen Wollens. Wenn ich expressionistische Gemälde impressionistisch
betrachte, scheint mir alles stümperhaft, unsagbar lächerlich und verkehrt. Ich
glaube, daß Burckhardt da einen praktisch sehr wichtigen Grundsatz ausgesprochen
hat: auch wo wir ästhetisch nicht mehr mitkönnen, sollen wir versuchen, der
Leistung gerecht zu werden. Und ganz sicher liegen hier zwei verschiedene Wert-
schichten vor. Aber in vielen Fällen sind sie doch so miteinander verwoben, daß
ich nicht die eine ohne die andere würdigen kann. Wen Rembrandt so »affron-
tiert« wie Burckhardt, vermag auch nicht die künstlerische Meisterschaft Rembrandts
zu erkennen, d,enn sie muß sich ihm notwendig ins Artistisch-Virtuose verschieben.
Wie aber Burckhardt seinen Grundsatz selbst anwendet, zeigt etwa folgende Stelle:
»Von Courbet, Manet usw. kenne ich nichts Eigenhändiges, nur gelegentliche Publi-
kationen, z. B. im neuesten Heft der Gazette des beaux arts, und das Genre widert
 
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