BESPRECHUNGEN. 533
hauptungen, deren Grundlosigkeit durch jenes famose Räsonnement der allgemeinen
Einleitung gewiß nicht behoben wird, welches sich auf das Wort »Ursache« stützt
und aus diesem Worte die Konsequenz herleitet, daß alles kausale Denken hinter die
vielen sinnlichen Dinge der Erscheinungswelt ein einziges un- und übersinnliches
Urding setze. Ob nun aber die Einheit zu der sachlich-gegenständlichen Seite der sämt-
lichen ästhetischen Begriffe, die Hart Revue passieren läßt, gehört oder nicht, — das
hätte er sich in jedem Falle vor Augen halten sollen, daß selbst da, wo sie zweifel-
los vorhanden ist, wie im Stil-, im Formgedanken, nicht von »Einheit« schlechtweg
gesprochen werden kann, weil sie sich eben als eine spezifizierte, nur in ganz be-
stimmter Hinsicht gegebene Einheit darstellt. So wenig herrscht in diesen Begriffs-
fassungen die Einheitsidee vor und fesselt sie die Aufmerksamkeit, so sehr tritt sie
in den Hintergrund gegenüber demjenigen, was zu ihr hinzukommt oder worin sie
sich bewährt, daß kunstverständige, jedoch nicht philosophisch gebildete Personen
z. B. mit vollster Sicherheit die Stilbegriffe handhaben, ohne daß sie sich über das
allgemeine Wesen des Stils Rechenschaft geben können, ohne daß ihnen also das
Moment der Einheit, welches in jeder Stilvorstellung steckt, irgendwie zum Be-
wußtsein kommt. Kurz, für alle noch so klaren logischen Beziehungen fehlt Hart
das Verständnis. Er vergleicht einmal das Verfahren unserer Ästhetik mit jenem
Gesellschaftsspiele, bei dem zwischen Worten, die von verschiedenen Personen nach
Laune auf verschiedene Zettel geschrieben wurden, ein Sinnzusammenhang herzu-
stellen ist. Es erscheint als die bitterste Ironie, daß er damit sein eigenes Ver-
fahren fast unübertrefflich gekennzeichnet hat. Von Rechts wegen müßte er darum
die Überschrift des Kapitels abändern. Nicht »Ästhetisches Mysterium oder ästhe-
tische Konfusion?« dürfte sie lauten, sondern »Ästhetische Konfusion. Ein Myste-
rium« müßte ohne Fragezeichen über den Ausführungen stehen. Denn in der Tat:
die Konfusion aller ästhetischen Begriffe, wie sie seitens des Verfassers Platz greift,
kann schlechterdings nicht mehr überboten werden, und ein Mysterium, freilich nicht
ein ästhetisches, muß man es nennen, daß ein geistreicher, philosophisch belesener,
wenn auch nicht philosophisch geschulter Mann es fertig bringt, die grellsten, auf
die weiteste Entfernung hin sichtbaren Unterschiede so gänzlich zu übersehen und
die bestgetrennten, schärfstabgegrenzten Begriffssphären so chaotisch durcheinander-
zurühren.
In dem folgenden Essay: »Was heißt schön, oder was ist schön?« zerpflückt
Hart mehrere Sätze der Lippsschen Ästhetik, um daran die Ungenauigkeit unserer
wissenschaftlichen Begriffsbestimmungen aufzuzeigen. Zunächst nimmt er die drei
Sätze vor, mit welchen Lipps seine Darstellung beginnt. An dem ersten Satze:
»Die Ästhetik ist die Wissenschaft vom Schönen, implizite auch vom Häßlichen«
stellt er aus, daß man nicht ersehe, ob eine Sach- oder eine Worterklärung beab-
sichtigt sei. Der gestrenge Kritiker merkt also nicht, daß hier, wo das Programm
einer Wissenschaft bestimmt wird, Nominal- und Realdefinition selbstverständlich
zusammenfallen, daß das Programm aber die Bestimmung des Gegenstandes dessen
Untersuchung der Wissenschaft obliegt, nach Gebühr an die Spitze stellt. In dem
zweiten Satze: »Schön heißt ein Objekt darum, weil es ein eigentümliches Gefühl
in mir weckt oder zu wecken geeignet ist, nämlich dasjenige, das wir als ,Schön-
heitsgefühl' zu bezeichnen pflegen«, — in diesem zweiten Satze beanstandet Hart
mit scheinbar besserem Rechte die Unbestimmtheit, welche die Pronomina »mir«
und »wir« mit sich bringen. Denn der Entscheidung, ob die Geschmacksurteile
'ndividuell veränderlich oder allgemein gültig und für jedermann verbindlich sind,
wird damit offenbar ausgewichen. Ersetzte man »wir* durch »ich« und sagte man
demnach: »das ich als Schönheitsgefühl zu bezeichnen pflege«, so bedeutete das
hauptungen, deren Grundlosigkeit durch jenes famose Räsonnement der allgemeinen
Einleitung gewiß nicht behoben wird, welches sich auf das Wort »Ursache« stützt
und aus diesem Worte die Konsequenz herleitet, daß alles kausale Denken hinter die
vielen sinnlichen Dinge der Erscheinungswelt ein einziges un- und übersinnliches
Urding setze. Ob nun aber die Einheit zu der sachlich-gegenständlichen Seite der sämt-
lichen ästhetischen Begriffe, die Hart Revue passieren läßt, gehört oder nicht, — das
hätte er sich in jedem Falle vor Augen halten sollen, daß selbst da, wo sie zweifel-
los vorhanden ist, wie im Stil-, im Formgedanken, nicht von »Einheit« schlechtweg
gesprochen werden kann, weil sie sich eben als eine spezifizierte, nur in ganz be-
stimmter Hinsicht gegebene Einheit darstellt. So wenig herrscht in diesen Begriffs-
fassungen die Einheitsidee vor und fesselt sie die Aufmerksamkeit, so sehr tritt sie
in den Hintergrund gegenüber demjenigen, was zu ihr hinzukommt oder worin sie
sich bewährt, daß kunstverständige, jedoch nicht philosophisch gebildete Personen
z. B. mit vollster Sicherheit die Stilbegriffe handhaben, ohne daß sie sich über das
allgemeine Wesen des Stils Rechenschaft geben können, ohne daß ihnen also das
Moment der Einheit, welches in jeder Stilvorstellung steckt, irgendwie zum Be-
wußtsein kommt. Kurz, für alle noch so klaren logischen Beziehungen fehlt Hart
das Verständnis. Er vergleicht einmal das Verfahren unserer Ästhetik mit jenem
Gesellschaftsspiele, bei dem zwischen Worten, die von verschiedenen Personen nach
Laune auf verschiedene Zettel geschrieben wurden, ein Sinnzusammenhang herzu-
stellen ist. Es erscheint als die bitterste Ironie, daß er damit sein eigenes Ver-
fahren fast unübertrefflich gekennzeichnet hat. Von Rechts wegen müßte er darum
die Überschrift des Kapitels abändern. Nicht »Ästhetisches Mysterium oder ästhe-
tische Konfusion?« dürfte sie lauten, sondern »Ästhetische Konfusion. Ein Myste-
rium« müßte ohne Fragezeichen über den Ausführungen stehen. Denn in der Tat:
die Konfusion aller ästhetischen Begriffe, wie sie seitens des Verfassers Platz greift,
kann schlechterdings nicht mehr überboten werden, und ein Mysterium, freilich nicht
ein ästhetisches, muß man es nennen, daß ein geistreicher, philosophisch belesener,
wenn auch nicht philosophisch geschulter Mann es fertig bringt, die grellsten, auf
die weiteste Entfernung hin sichtbaren Unterschiede so gänzlich zu übersehen und
die bestgetrennten, schärfstabgegrenzten Begriffssphären so chaotisch durcheinander-
zurühren.
In dem folgenden Essay: »Was heißt schön, oder was ist schön?« zerpflückt
Hart mehrere Sätze der Lippsschen Ästhetik, um daran die Ungenauigkeit unserer
wissenschaftlichen Begriffsbestimmungen aufzuzeigen. Zunächst nimmt er die drei
Sätze vor, mit welchen Lipps seine Darstellung beginnt. An dem ersten Satze:
»Die Ästhetik ist die Wissenschaft vom Schönen, implizite auch vom Häßlichen«
stellt er aus, daß man nicht ersehe, ob eine Sach- oder eine Worterklärung beab-
sichtigt sei. Der gestrenge Kritiker merkt also nicht, daß hier, wo das Programm
einer Wissenschaft bestimmt wird, Nominal- und Realdefinition selbstverständlich
zusammenfallen, daß das Programm aber die Bestimmung des Gegenstandes dessen
Untersuchung der Wissenschaft obliegt, nach Gebühr an die Spitze stellt. In dem
zweiten Satze: »Schön heißt ein Objekt darum, weil es ein eigentümliches Gefühl
in mir weckt oder zu wecken geeignet ist, nämlich dasjenige, das wir als ,Schön-
heitsgefühl' zu bezeichnen pflegen«, — in diesem zweiten Satze beanstandet Hart
mit scheinbar besserem Rechte die Unbestimmtheit, welche die Pronomina »mir«
und »wir« mit sich bringen. Denn der Entscheidung, ob die Geschmacksurteile
'ndividuell veränderlich oder allgemein gültig und für jedermann verbindlich sind,
wird damit offenbar ausgewichen. Ersetzte man »wir* durch »ich« und sagte man
demnach: »das ich als Schönheitsgefühl zu bezeichnen pflege«, so bedeutete das