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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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Ziehen, Theodor: Über den gegenwärtigen Stand der experimentellen Ästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0025

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ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND D. EXPERIMENTELLEN ÄSTHETIK, ig

sie einen solchen Begriff gefunden hat, wie soll sie das ästhetische
Objekt isolieren, also allerhand Nebenassoziationen und Nebengefühle,
die mit der ästhetischen Wirkung nichts zu tun haben, eliminieren? Und
wenn auch diese Schwierigkeit überwunden ist, erhebt sich der Zweifel,
ob sie irgend ein Maß des ästhetischen Wohlgefallens finden kann
und ob ohne ein solches Maß überhaupt eine exakte ästhetische
Experimentalwissenschaft möglich ist. Schließlich wird man bezweifeln,
ob überhaupt ihr experimentelles Grundprinzip verwirklicht werden
kann. Denn wir können zwar einfache Objekte auswählen, um die
ästhetischen Wirkungen zu beobachten, aber es ist uns versagt, auch
die ästhetischen Subjekte, unsere Versuchspersonen in analoger Weise
zu vereinfachen. Diese stehen auch dem einfachsten Objekt mit einer
schier unendlichen Komplikation psychischer Bedingungen — Vorstel-
lungen, Stimmungen usf. — gegenüber.

Allen diesen Schwierigkeiten gegenüber hat die experimentelle
Ästhetik nur langsam Auswege gefunden. Zeitweise schien es fast,
als ob die experimentelle Ästhetik schon im Beginn ihrer Tätigkeit
durch prinzipielle Schwierigkeiten erstickt würde, aber es war doch
nur ein »fast«. Die experimentelle Psychologie hat auf manchen
anderen Gebieten mit ganz ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen ge-
habt und trotz dieser Schwierigkeiten sich in wenigen Jahrzehnten zu
einer sicheren Wissenschaft erhoben. So hat z. B. auch die begriff-
liche Abgrenzung der Empfindung, ihre Isolierung von anderen psy-
chischen Prozessen, z. B. Vorstellungen, im Experiment und auch ihre
Messung außerordentliche, noch heute nicht völlig überwundene
Schwierigkeiten, und doch ist gerade die Lehre von den Empfindungen
von der Psychologie in früher nicht geahnter Weise gefördert worden.
Ganz ebenso haben sich auch die vier oben erörterten Hauptschwierig-
keiten, welche sich der Entwicklung der experimentellen Ästhetik ent-
gegenstellen, nicht als unüberwindlich erwiesen.

Was zunächst die Abgrenzung des Ästhetischen betrifft, so
hat Fechner1) das ästhetische Lustgefühl dadurch charakterisieren zu
können geglaubt, daß er es als eine Lust »ohne Rücksicht auf Zu-
sammenhang und Folgen« definierte2) und außerdem als schön (s. str.)
nur zuließ, was »geeignet ist, höhere als bloß sinnliche Lust doch un-
mittelbar aus Sinnlichem schöpfen zu lassen, was, sei es durch Auf-
fassung innerer Beziehungen des Sinnlichen oder durch Vorstellungs-
assoziation an das Sinnliche, möglich« sein soll. Durch die erstere

') Vorsch. d. Ästh. I, S. 13 u. 15. Ein anderer interessanter Abgrenzungsver-
such stammt von Külpe, Vierteljahrsschr. f. w. Philos. 1899, Bd. 23, S. 145.

2) Vgl. auch Plato, Phileb. 51 C: »oüv. slvai npo; r. v.nXä . . . «XV ael xaXä *afr'
aütä Jte<pox£vai . . «
 
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