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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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Marcus, Hugo: Zur ästhetischen Wesensbestimmung der Landschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0116

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HO BEMERKUNGEN.

Und nun auch noch ein Wort über das Verhältnis der Reihe: Geschichtspersön-
lichkeit, Kunstwerk und Landschaft zum Begriff der Einfühlung.

Einem Menschen kann ich seine Seele abfühlen; denn er hat eine Seele, und
dazu kommt sein Sonderkörper sowie seine individuelle Betätigung allgemein
menschlicher Eigenschaften. Aus seinem Körper und aus seiner Betätigung lese
ich seine Seele heraus.

Auch in das Kunstwerk kann ich eine Seele einfühlen; obwohl es keine Seele
hat. Doch es besitzt einen Sonderkörper und eine individuelle Mischung allge-
meiner Eigenschaften. Und nach beidem unterstelle ich ihm eine Seele.

Nicht anders kann ich aber auch in die Landschaft noch Seele einfühlen. Denn
sie hat zwar keine Seele und keinen Sonderkörper mehr, aber auch sie weist ja
noch eine individuelle Mischung allgemeiner Eigenschaften auf. Und aus ihrem
individuellen Gepräge gewinne ich das Bild einer Seele, wenn auch in unbestimm-
teren, fremdartigeren Umrissen als beim Kunstwerk.

Die Einfühlung in einen anderen Menschen ist psychologische Einfühlung; die
Einfühlung in das Kunstwerk und die Landschaft ist der Schluß vom individuellen
Habitus, den beseelte Wesen mit Kunstwerk und Landschaft teilen, auf das Auch-
Vorhandensein einer Seele bei diesen. Die Einfühlung in Kunstwerk und Land-
schaft ist ästhetische Einfühlung. Die unbewußte Logik der ästhetischen Einfüh-
lung lautet: Weil Kunst und Landschaft Individuen sind wie die belebten Wesen,
so könnten sie wohl auch eine Seele haben wie diese.

Doch selbst in unindividuelle Dinge und Verhältnisse läßt sich ja Seele ein-
fühlen. Wir können zuletzt in alles Seele einfühlen. Wir üben dann eben Allbe-
seelung; und der gebräuchlichste Ausdruck für Allbeseelung lautet Pantheismus.
Der ästhetischen Einfühlung in das individuelle Unbeseelte tritt die pantheistische
Einfühlung gegenüber als die Einfühlung selbst noch in das individualitätslose Un-
beseelte. Die Stelle der Landschaft aber befindet sich demnach am unteren Ende
der ästhetischen Einfühlung und dicht neben der pantheisüschen. Es ist indessen
bezeichnend, daß der Pantheismus der Griechen so viele Fluß-, Wald-, Berg- also
Landschaftsgötter schuf; die pantheistische Einfühlung hat nämlich überall die Nei-
gung, zur Einfühlung in Individualisiertes überzugehen, ästhetische Einfühlung zu
werden. Das lehren auch die Götterstatuen, in denen sich der antike Pantheismus
zum Kunstwerk individualisierte.
 
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