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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0125

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BESPRECHUNGEN. 1 ig

keit einsehen; aber nicht weil sie falsch ist, sondern weil sie zu wenig aussagt,
nämlich nur etwas, was uns selbstverständlich ist. So werden wir auch, wenn wir
wissen, daß es Abend wird und jemanden nach der Stunde fragen, die Auskunft
»es ist Mittag vorbei« zurückweisen, obwohl sie Richtiges behauptet. Jedenfalls heißt
möglich zunächst so viel wie nicht unmöglich, nicht ausgeschlossen, und was nicht
unmöglich ist, kann nun entweder bloß möglich« oder auch notwendig d. h. evi-
dent tatsächlich sein. Eine Analyse des Möglichkeitsbegriffes durfte nicht von vorn-
herein die Untersuchung auf einen determinierten Unterbegriff (den des »bloß
möglich«) einschränken und ihn als den Möglichkeitsbegriff hinstellen.

Eine ähnliche willkürliche Einschränkung liegt auch vor, wenn der Möglichkeit
die Steigerungsfähigkeit abgesprochen wird. Ohne Zweifel gibt es neben der Be-
deutung des Wortes, die keine Grade der Möglichkeit zuläßt, auch eine zweite, die
in Wendungen wie »gleich möglich« zur Geltung kommt und nicht einfach damit
abzuweisen ist, daß es sich hier allemal um Wahrscheinlichkeiten handle. Ist der
mögliche Sachverhalt partiell einsichtig begründet, so ist auch nicht abzusehen,
weshalb man die verschiedenen Grade dieses Begründetseins nicht (wie es tatsäch-
lich geschieht) Möglichkeitsgrade nennen dürfte.

Die Bestimmung: »Möglichkeit« ist das partiell Begründetsein eines Sachverhaltes
in einem einsichtigen Sachverhalt, darf auch nicht — wie mir das bei Gallinger der
Fall zu sein scheint — so gemeint sein, als müsse die partielle Begründung eines
Objektives b immer in einem anderen Objektive a liegen. Daß ein Dreieck gleich-
seitig ist, ist z. B. möglich und in der Tat auch in einem gewissen Sinne partiell
einsichtig, aber es trägt seine Einsichtigkeit in sich und gewinnt sie nicht aus
anderen Objektiven. Das Objektiv Gleichseitigkeit eines Dreieckes ist nicht schlecht-
hin Tatsache, aber auch nicht ohne weiteres als Untatsache, als etwas Nichtbestehen-
des zu bezeichnen: es kommt ihm eine Tatsächlichkeit geringeren Grades zu1), und
dem entspricht der Tatbestand, daß ein Fall dieses Objektives (»als Fall davon«,
d. h. in dieser seiner Unbestimmtheit) möglich ist. Im eigentlichen Sinne möglich
ist also ein Fall eines partiell einsichtigen Objektives als solcher2) (gleichviel ob
dieses Objektiv seine partielle Einsichtigkeit einem anderen oder sozusagen sich selbst
verdankt). Wenn wir aber eine Möglichkeit aussagen, so denken wir dabei wohl
nicht an Einsichtigkeit dessen, was wir als möglich bezeichnen, sondern wir prädizieren
davon ein gewisses Sein, nämlich eine Annäherung an Tatsächlichkeit — oder wie
man das einfach Gemeinte sonst umschreiben mag —, der partiellen Einsichtigkeit des
Sachverhaltes aber werden wir bloß gerecht, indem wir ihn eben partiell einsehen.

Die vorliegende »Bedeutungsanalyse« geht zunächst vom Sprachgebrauche aus,
aber wesentlicher ist ihr, wie jeder anderen, die »Gegenständlichkeit« oder kurz
den Gegenstand zu untersuchen, worin die Bedeutung des Wortes gelegen ist, und
zwar diesen Gegenstand ohne Rücksicht auf Existenz oder Nichtexistenz, ja zunächst,
wenn auch nicht endgültig, sogar ohne Rücksicht darauf, ob ihm überhaupt ein Sein
in irgend einem Sinne zukommt. Der Verfasser bringt Problem und Methode seiner
Arbeit in Zusammenhang mit der Phänomenologie, aber befremdlicherweise nicht
mit der Gegenstandstheorie; trotzdem wird man aus dem Gesagten die Berech-
tigung schöpfen können, sie als einen interessanten und verdienstlichen Beitrag zu
dieser Wissenschaft zu begrüßen.

Graz. Ernst Mally.

') Vgl. Meinong, a. a. O.

2) Vgl. meine Arbeit »Gegenstandstheoretische Grundlagen der Logik und
Logistik« § 23, insbes. S. 43, und § 42. Leipzig 1912.
 
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