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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0133

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BESPRECHUNGEN. 127

seiner Münchner Kongreßrede, die Wickhoffsche Auffassung von der Einheitlichkeit
der Kunst verfechtend, als Tatsache hingestellt. Wie ist es dann zu erklären, daß
z. B. bereits in der Steinzeit eine stark realistische Kunstäußerung sich findet? Das
sind die Fragen, die sich Läzär in seinem Buche stellt und von denen er ausgeht.
Er beantwortet sie damit, daß er zunächst an einigen Beispielen zeigt, wie die
Kunst gleichzeitig neben naturalistischen Bestrebungen auch von der Natur bewußt
absehende aufweist. So kommt er dazu, zwei parallel laufende Entwicklungsreihen
anzunehmen, zwei künstlerische Ideale, die eine psychische Endursache haben. Mit
anderen Worten: in jedem Stile ist eine zweifache Wurzel zu erkennen, die in
erster Linie von der Gehirnstruktur des Künstlers abhängig ist. Rasse und äußere
Umstände des Schaffenden sind nebensächliche Momente, da wir zu derselben Zeit
Künstler der gleichen Rasse in trotzdem abweichender Eigenart beobachten können.
So nimmt Läzär zwei Typen des Künstlers an: erstens den Künstler mit
konkreter Phantasie, der, vom Gefühle entzündet, darauf ausgeht, das Auf-
fällige und Augenblickliche der Natur wiederzugeben, zweitens den Künstler mit
abstrakter Phantasie; bei ihm zeugt der Gedanke ein intellektuelles Erlebnis.
Läzär stellt damit eine gesetzmäßige Dualität auf, die — und das ist das Neue an
diesen Ausführungen — als gleichzeitige Erscheinung und nicht etwa so zu denken
ist, daß die eine Richtung die andere ablöst. Freilich sei oft das Überwiegen der
ersten oder der zweiten Strömung zu konstatieren, es komme dabei zuweilen zu
einem Kompromiß. Immerhin ließe sich der Sachverhalt vom Referenten etwa auf
folgende Formel bringen:

Künstler mit abstrakter Phantasie = Ka,

Künstler mit konkreter Phantasie = Kc.
Die einzelne Zeitepoche, das Diapason, wie Lamprecht den gesamten seelischen
Zustand eines Zeitalters nennt, =T,, T2, T3 ...
So ergibt sich denn:

Tj = Ka, + Kc,
T2 = KaL> + Kc»
T3 — Ka3 + Kc3 .. .

T = Ka + Kc

Konstant ist immer die Summierung, nur die Faktoren sind je nach der Vorherr-
schaft von Ka oder Kc verschieden.

Schon Verworn hat (Zur Psychologie der primitiven Kunst) auf die zwei Rich-
tungen in der Kunst hingewiesen. Er stellt der physioplastischen Kunst, die durch
die Darstellung des gesehenen Objektes bestimmt sei, die idioplastische gegenüber,
die auf Spekulation beruhe. Verworn neigt aber dazu, diese abstrakte Darstellung
der primitiven Völker höher zu stellen als die realistische diluviale Tierzeichnung,
weil erstere das Erzeugnis einer weitergehenden Reflexion sei. Läzärs Verdienst
ist es, zum erstenmal das gleichzeitige und gleichwertige Auftreten der beiden
Strömungen betont und damit zugleich eine einleuchtende Erklärung dafür gegeben
zu haben, weshalb der eine Künstler den anderen, ja auch der eine Genießende
den anderen nicht verstehen könne.

Die Frage bleibt noch offen, ob sich tatsächlich in jeder Epoche — von der
Steinzeit angefangen — beide Entwicklungsreihen werden genau verfolgen lassen.
Für viele Epochen — für die moderne hat es Läzär selbst getan — lassen sie sich
ohne weiteres nachweisen. Es wird gründlicher kunstwissenschaftlicher Arbeit be-
dürfen, des Verfassers anregender These systematisch nachzugehen.

Aber so viel kann man schon jetzt sagen, daß das Problem des Stils in der
bildenden Kunst, wie es zuletzt Wölfflin in den Sitzungsberichten der preußischen
 
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