162 HANS CORNELIUS.
von bestimmter Beschaffenheit. Ein »Sehen« findet nur so weit statt,
als jene Erscheinung die Faktoren in sich enthält, durch die eine
solche Deutung in einheitlicher und eindeutiger gesetzmäßiger Weise
bedingt und bewirkt wird.
Wie weit und in welchem Sinne solche Erkenntnis durchs Auge
sich jeweils vollzogen hat, d. h. wie weit irgend ein Gegenstand tat-
sächlich sichtbar war, dafür ist uns der exakte Maßstab in jenem
»mehr oder minder unbestimmten« Erkenntnisbesitz gegeben, der
als dauernde Wirkung nach dem Verschwinden des betreffenden Ge-
sichtseindruckes zurückbleibt und den ich als die aus diesem Ein-
druck gewonnene Gesichts vor Stellung des Gesehenen bezeichne.
Ohne die psychologischen Zusammenhänge zu untersuchen, die
für solche Deutung maßgebend sind, erinnere ich nur weiter daran,
daß diese Deutung sich auf zwei wesentlich verschiedene Gruppen
von Gegenständen erstreckt, die ich hier in etwas anderer Weise als
früher charakterisiere. Die erste dieser Gruppen umfaßt alle Gegen-
stände, die ihrerseits als Zusammenhänge1) rein optischer Er-
lebnisse bestimmt sind, — ob sie gleich niemals in einem einzigen
optischen Erlebnis unmittelbar gegeben sein können. Hierher gehört
alles, was wir unter den Namen von Raum, Form, Lagebezie-
hungen und Maßverhältnissen (sowie deren Veränderungen),
ebenso alles, was wir als farbige Eigenschaften und Gesetzmäßig-
keiten der Gegenstände kennen. Ich will die Gegenstände dieser
Gruppe als rein optische Gegenstände bezeichnen.
Die zweite Gruppe umfaßt alle diejenigen Gegenstände, die nicht
als Zusammenhänge rein optischer Erlebnisse, sondern optischer Er-
lebnisse mit solchen anderer Art, also z. B. mit Tatsachen anderer
Sinnesgebiete oder mit Tatsachen des Gemütslebens charakterisiert
sind. Diese Zusammenhänge sind nach dem vorigen als nicht rein
optische Gegenstände zu bezeichnen. Zu ihnen gehört alles, was als
Funktion des Gesehenen gedeutet wird — wie Lasten und Tragen,
Weichheit und Widerstand, Freude und Trauer usw., soweit eben
solche Tatbestände »sichtbar« werden, d. h. als Deutungen einer ge-
sehenen Erscheinung gesetzmäßig erkannt werden.
Die Entwicklung unserer optischen Erkenntnis der Dinge und ihrer
Eigenschaften bringt es mit sich, daß wir im entwickelten Leben Deu-
tungen der zweiten Art niemals unabhängig von solchen der ersten Art
') Vgl. für die Bedeutung dieses Begriffs meine Einleitung in die Philosophie
(2) S, 261 ff. Ich bemerke, daß die Kenntnis der an dieser Stelle formulierten er-
kenntnistheoretischen Untersuchung für das Verständnis meiner kunstwissenschaft-
lichen Theorien unentbehrliche Voraussetzung ist.
von bestimmter Beschaffenheit. Ein »Sehen« findet nur so weit statt,
als jene Erscheinung die Faktoren in sich enthält, durch die eine
solche Deutung in einheitlicher und eindeutiger gesetzmäßiger Weise
bedingt und bewirkt wird.
Wie weit und in welchem Sinne solche Erkenntnis durchs Auge
sich jeweils vollzogen hat, d. h. wie weit irgend ein Gegenstand tat-
sächlich sichtbar war, dafür ist uns der exakte Maßstab in jenem
»mehr oder minder unbestimmten« Erkenntnisbesitz gegeben, der
als dauernde Wirkung nach dem Verschwinden des betreffenden Ge-
sichtseindruckes zurückbleibt und den ich als die aus diesem Ein-
druck gewonnene Gesichts vor Stellung des Gesehenen bezeichne.
Ohne die psychologischen Zusammenhänge zu untersuchen, die
für solche Deutung maßgebend sind, erinnere ich nur weiter daran,
daß diese Deutung sich auf zwei wesentlich verschiedene Gruppen
von Gegenständen erstreckt, die ich hier in etwas anderer Weise als
früher charakterisiere. Die erste dieser Gruppen umfaßt alle Gegen-
stände, die ihrerseits als Zusammenhänge1) rein optischer Er-
lebnisse bestimmt sind, — ob sie gleich niemals in einem einzigen
optischen Erlebnis unmittelbar gegeben sein können. Hierher gehört
alles, was wir unter den Namen von Raum, Form, Lagebezie-
hungen und Maßverhältnissen (sowie deren Veränderungen),
ebenso alles, was wir als farbige Eigenschaften und Gesetzmäßig-
keiten der Gegenstände kennen. Ich will die Gegenstände dieser
Gruppe als rein optische Gegenstände bezeichnen.
Die zweite Gruppe umfaßt alle diejenigen Gegenstände, die nicht
als Zusammenhänge rein optischer Erlebnisse, sondern optischer Er-
lebnisse mit solchen anderer Art, also z. B. mit Tatsachen anderer
Sinnesgebiete oder mit Tatsachen des Gemütslebens charakterisiert
sind. Diese Zusammenhänge sind nach dem vorigen als nicht rein
optische Gegenstände zu bezeichnen. Zu ihnen gehört alles, was als
Funktion des Gesehenen gedeutet wird — wie Lasten und Tragen,
Weichheit und Widerstand, Freude und Trauer usw., soweit eben
solche Tatbestände »sichtbar« werden, d. h. als Deutungen einer ge-
sehenen Erscheinung gesetzmäßig erkannt werden.
Die Entwicklung unserer optischen Erkenntnis der Dinge und ihrer
Eigenschaften bringt es mit sich, daß wir im entwickelten Leben Deu-
tungen der zweiten Art niemals unabhängig von solchen der ersten Art
') Vgl. für die Bedeutung dieses Begriffs meine Einleitung in die Philosophie
(2) S, 261 ff. Ich bemerke, daß die Kenntnis der an dieser Stelle formulierten er-
kenntnistheoretischen Untersuchung für das Verständnis meiner kunstwissenschaft-
lichen Theorien unentbehrliche Voraussetzung ist.