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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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Groos, Karl: Das anschauliche Vorstellen beim poetischen Gleichnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0202

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196 KARL GROOS.

sich die negierenden oder doch der Negation zuneigenden Aussagen
etwas häufiger als bei dem Oießener Material. So heißt es (Nr. 3):
»Die Bilder« (Haupt- und Vergleichsvorgang) »gingen ineinander über;
der ästhetische Eindruck kein einheitlicher; Gefühl der Störung durch
den Wechsel der Bilder«; »Es war ästhetisch störend, nur anfangs
einen Augenblick fördernd« (Nr. 4); »Die Worte wirken bei mir stärker
als die visuellen Bilder. Die Bilder scheinen den ersten Eindruck zu
stören— es scheinen zwei verschiedene Genüsse vorzuliegen«
(Nr. 6); »Wohl mehr störend, die Länge des bildlichen Ausdrucks ver-
leitete wohl zum lebhaften Assoziieren« (Nr. 7; die Versuchsperson
hatte innerlich das Bild eines Künstlersteindrucks * Taubenflug« und
eines »Titanensturzes« gesehen); »Rumpiers Eindecker ,Taube' sehr
störend; das Schweben an sich mit den wallenden Gewändern wird
sehr angenehm, für den ästhetischen Eindruck als förderlich empfunden.
Nebenher ging aber deutlich ein ästhetisches Genießen, das unabhängig
von Vorstellungen war« (Nr. 14; dieser Teilnehmer hatte die erste Frage
mit dem Zusätze bejaht: »namentlich Wohllaut und Flüssigkeit der
Verse«). — Anders verhält es sich bei Nr. 16; diese Versuchsperson
hatte, wie schon früher angeführt wurde, das Gleichnis der Tauben
für unangebracht gehalten; sie schrieb daher zur Schlußfrage: »Das
Bild stört aus obigem Grund den ästhetischen Eindruck.« Sie fügt
aber hinzu: »Dagegen fand ich das andere« (gleichfalls vorgelesene)
»Bild vom Sandwirbel großartig.«

Fassen wir vorläufig nur diese Aussagen ins Auge, so werden wir
(mindestens von den vier ersten) den Eindruck erhalten, daß die
Plüßsche Darlegung des ästhetischen Verhaltens wohl für manche
Menschen völlig zutreffen muß. Und etwas anderes war auch gar
nicht zu erwarten. Verwunderlich war vielmehr nur, daß bei den
Gießener Versuchen eine so bedeutende Majorität gegen den nega-
tiven Teil seiner Theorie sprach. Unter den Tübinger Protokollen be-
findet sich eines (Nr. 5), das die Vorstellungstheorie, wie mir scheint,
sehr deutlich illustriert. Die Eingangsfrage, ob ein poetischer Genuß
stattgefunden habe, wurde bejaht. Die Frage, ob die Gestalten der
beiden Seelen anschaulich vorgestellt worden seien, wurde verneint
(»visuelle Vorstellungen keine; starkes Achten auf die vorgelesenen
Worte«). Auf die Frage, wie es sich mit den Tauben verhalten habe,
lautete die Antwort: »Nur die Bewegung wurde erlebt und etwas mit-
gefühlt, bei hellem Bewußtsein.« Zur Schlußfrage gab die Versuchs-
person keine Entscheidung, schrieb aber: »Das Bild schien mir sehr
treffend: das Leichtbeschwingte, das Zufluchtsuchende, Ruhe-
lose.« Das ist ganz genau die »GesamtVorstellung«, die das
Gemeinsame zwischen Haupt- und Gleichnisvorgang heraushebt. Daß
 
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