248 ROBERT PETSCH.
der Helden der Vorzeit dramatisch dargestellt, um sie damit vor Fehlern
zu warnen: »Wenn schon solche Helden so viel dulden mußten, offen-
bar um früher begangener Schuld willen, wieviel schwerer werden
dann wir und die sich gegen uns versündigen, dereinst leiden müssen?
So müssen wir also nach Möglichkeit ein fleckenloses und philo-
sophisches Leben führen«1). So vereinzelt solche Stellen sein mögen,
sie beweisen uns doch, daß in der uns so lückenhaft überlieferten
spätgriechischen Lehre vom Drama bereits jene moralisierenden Ge-
dankengänge vorkamen, die wir nachher im Mittelalter wieder antreffen.
Im Mittelpunkte standen freilich die äußerlich-formalen Erörterungen,
und noch im 12. Jahrhundert wärmte Joh. Tzetzes in seinem lang-
atmigen, vorwiegend technischen Lehrgedicht Ȇber die tragische Dich-
tung« den alten Kohl wieder auf2).
Um es kurz zusammenzufassen: Es ist dem klassischen Altertum
nicht gelungen, das Erlebnis des Tragischen in seiner verhältnismäßig
reinsten ästhetischen Form aus dem Zusammenhange der Bewußtseins-
vorgänge herauszulösen und zu untersuchen. Insbesondere brachte
die Geschichte der tragischen Dichtung selber eine Vermischung der
ästhetischen mit ethischen Gedankenreihen mit sich. Von hier aus be-
trachtet, erscheint das Altertum verantwortlich für alle späteren Theorien
von der Besserung durch gute und der Abschreckung durch böse
Beispiele, für alles Gefasel der Renaissance von der Abhärtung, ja
Abstumpfung der Seele gegen das Leid des Lebens. Hier liegen aber
auch die fruchtbaren Keime für Lessings Mitleidslehre und für Schopen-
hauers oder E. v. Hartmanns tragischen Pessimismus. Auf Aristoteles
berief sich mit mehr oder weniger Berechtigung die Nachahmungs-
theorie des 18. Jahrhunderts, aber mit dem gleichen Rechte wie Batteux
kann ihn Dubos seinen Vater nennen, der Begründer des modernen
Emotionalismus. Tatsächlich haben doch die griechischen Denker an
jene Gefühlsgrundlagen gerührt, die dann unser Zeitalter mit seiner
»Ästhetik des Tragischen« erst einer gründlichen wissenschaftlichen
Untersuchung unterwerfen sollte. Freilich muß schließlich noch ein-
mal darauf hingewiesen werden, daß alle theoretischen Erwägungen
der Griechen unserer Fähigkeit, tragisch zu empfinden, und damit auch
unserem Denken über das Tragische nicht entfernt so viel genützt
haben wie die schöpferischen Taten des Aischylos von Eleusis und
seiner Nachfolger.
') ei f<xp ol xvjXtxoöxoi •fjf/iue; xoiaöxa EitaG-/ov, 8-qXovoxi ä[j.apx7]fj.äxiuv aüxoi? itpou-
jtY)pY|jiv<uv, Ttöaip |xäXXov •fj|i.el; xal ol xohS-' *S]|j.ä; avftpaiitoi ä|j.apx^aavxE? ima6|j.E#a; Sei ouv,
ei; otöv te ßtov äva(jiäpx7]T0V xal tptXoaocpüixaxov jj.Exaocü>XEiv. Hilgard 17.
2) Vgl. Tzetzes, icspl xpaY"1'?)? 7xoi*f]ae<u?, V. 184 f.: "Axous Xoircov xi xsXo? Tpa-fiu-
3 ias • jj.ijj/r)ai? •/|8-tüv, 7tpä£eiuv, 7tafl-Yj|iäxiuv, •rffun.v.oü xpditoo xe xvjs xpaYf^'a?.
der Helden der Vorzeit dramatisch dargestellt, um sie damit vor Fehlern
zu warnen: »Wenn schon solche Helden so viel dulden mußten, offen-
bar um früher begangener Schuld willen, wieviel schwerer werden
dann wir und die sich gegen uns versündigen, dereinst leiden müssen?
So müssen wir also nach Möglichkeit ein fleckenloses und philo-
sophisches Leben führen«1). So vereinzelt solche Stellen sein mögen,
sie beweisen uns doch, daß in der uns so lückenhaft überlieferten
spätgriechischen Lehre vom Drama bereits jene moralisierenden Ge-
dankengänge vorkamen, die wir nachher im Mittelalter wieder antreffen.
Im Mittelpunkte standen freilich die äußerlich-formalen Erörterungen,
und noch im 12. Jahrhundert wärmte Joh. Tzetzes in seinem lang-
atmigen, vorwiegend technischen Lehrgedicht Ȇber die tragische Dich-
tung« den alten Kohl wieder auf2).
Um es kurz zusammenzufassen: Es ist dem klassischen Altertum
nicht gelungen, das Erlebnis des Tragischen in seiner verhältnismäßig
reinsten ästhetischen Form aus dem Zusammenhange der Bewußtseins-
vorgänge herauszulösen und zu untersuchen. Insbesondere brachte
die Geschichte der tragischen Dichtung selber eine Vermischung der
ästhetischen mit ethischen Gedankenreihen mit sich. Von hier aus be-
trachtet, erscheint das Altertum verantwortlich für alle späteren Theorien
von der Besserung durch gute und der Abschreckung durch böse
Beispiele, für alles Gefasel der Renaissance von der Abhärtung, ja
Abstumpfung der Seele gegen das Leid des Lebens. Hier liegen aber
auch die fruchtbaren Keime für Lessings Mitleidslehre und für Schopen-
hauers oder E. v. Hartmanns tragischen Pessimismus. Auf Aristoteles
berief sich mit mehr oder weniger Berechtigung die Nachahmungs-
theorie des 18. Jahrhunderts, aber mit dem gleichen Rechte wie Batteux
kann ihn Dubos seinen Vater nennen, der Begründer des modernen
Emotionalismus. Tatsächlich haben doch die griechischen Denker an
jene Gefühlsgrundlagen gerührt, die dann unser Zeitalter mit seiner
»Ästhetik des Tragischen« erst einer gründlichen wissenschaftlichen
Untersuchung unterwerfen sollte. Freilich muß schließlich noch ein-
mal darauf hingewiesen werden, daß alle theoretischen Erwägungen
der Griechen unserer Fähigkeit, tragisch zu empfinden, und damit auch
unserem Denken über das Tragische nicht entfernt so viel genützt
haben wie die schöpferischen Taten des Aischylos von Eleusis und
seiner Nachfolger.
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ei; otöv te ßtov äva(jiäpx7]T0V xal tptXoaocpüixaxov jj.Exaocü>XEiv. Hilgard 17.
2) Vgl. Tzetzes, icspl xpaY"1'?)? 7xoi*f]ae<u?, V. 184 f.: "Axous Xoircov xi xsXo? Tpa-fiu-
3 ias • jj.ijj/r)ai? •/|8-tüv, 7tpä£eiuv, 7tafl-Yj|iäxiuv, •rffun.v.oü xpditoo xe xvjs xpaYf^'a?.