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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0261

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BESPRECHUNGEN. 255

Methoden. Es ist eine gute Bemerkung, daß dies keinen prinzipienlosen Eklektizismus,
sondern gerade eine Kraft des Denkens bedeutet; es ist in der Tat leichter, wie
Konrad Fiedler bemerkt hat, viele Dinge unter einem Gesichtspunkt zu sehen, als eines
unter verschiedenen. Sehr gut ist auch die Bemerkung, daß die wahren Methoden
ein Teil der Untersuchung selbst sind, nicht vor ihr gegeben, sondern mit ihr sich
herausstellend und ausbildend — wie von der Bewegung die Richtung unzertrennlich
ist. Wirklich, die Methode wird je nach dem Stoff verschieden sein müssen.
Schließlich wird man auch zustimmen, wenn der Verfasser das Problem des Wertes,
wie schon erwähnt, in den Mittelpunkt rückt; es ist nur ein bißchen viel gesagt,
wenn er statuiert: Das wahre Problem der ästhetischen Methode ist das Problem
des Wertes. Man würde lieber hören: das wichtigste Problem, denn es gibt noch
andere. Auf diesen Punkt wird sich ein großer Teil der weiter unten folgenden
Kritik beziehen. (Übrigens muß man das Problem der Wertung von dem des
Wertes wohl noch unterscheiden, indem man unter jenem die Aufsuchung der Ge-
sichtspunkte versteht, wonach gewertet wird oder zu werten ist, nachdem man den
Begriff des ästhetischen Wertes überhaupt klargestellt hat.)

Wie Lalo meint, teilt sich sein Hauptproblem in drei Fragen: 1. Gibt es
wirklich Werte oder nur Tatsachen; mit anderen Worten, hat sich der Ästhetiker auf
die Feststellung und Darlegung dessen, was ist, zu beschränken, oder darf er sich
vorwagen zu einem Urteil, zu einer Schätzung nach irgendeinem Maßstabe dessen,
was sein soll; kurz, bleibt sein Vorgehen theoretisch beschreibend oder normativ?

2. Sind die Werte, wenn es für die Wissenschaft welche gibt, d. h. wenn sie von
der Wissenschaft erfaßbar sind, lediglich individuell und in diesem Sinne nur
subjektiv oder auch überpersönlich und objektiv? Wechseln sie von Individuum
zu Individuum oder gar in demselben Individuum von Moment zu Moment — oder
haben sie irgendeine kollektive Gültigkeit? Ist also die Ästhetik eine Kunstwissen-
schaft oder nur im besten Falle ein Kunstwerk, das sich auf der Kunst aufbaut?

3. Sind die ästhetischen Werte Selbstwerte, hat die Kunst ihr Maß in sich selbst
oder außer sich, gibt es eine Autonomie der Kunst?

Was die erste grundlegende Frage anlangt, so sehe ich da kein Dilemma; ein
Wert ist doch auch eine Tatsache, wenn er konstatiert wird. Man kann auch
über Werte rein feststellend, beschreibend, erklärend, kurz theoretisch verhandeln.
Die Wissenschaft hat es nur in diesem Sinne mit ihnen zu tun! Denn Wissen-
schaft sagt immer nur, was ist. Ihr kann aber auch der Wert als eine Tatsache
gegeben sein, denn er wird zunächst erlebt und keineswegs nur — und auch
nicht zuerst — geprüft und gemessen; bewußte Maßstäbe braucht man überhaupt
erst beim Urteil, das in viel höherem Grade Bewußtheit und Reflexion voraus-
setzt als das bloße Gefühl eines Wertes. Die Maßstäbe werden viel seltener »an-
gewendet« als sie wirklich gelten, beides ist nicht dasselbe! Das Primäre ist
das letztere. Der Tatbestand, den die Wertwissenschaft vorfindet, oder der erlebte
Wert ist eine Realität. Es steht in dieser Hinsicht genau so mit den Werten wie
mit den Gesetzen in der Kunst. Wenn Künstler das Wort Gesetz brauchen, wie
z. B. Hebbel, so bedeutet es tatsächliche Ablaufsregelmäßigkeiten von Vorgängen
im Künstler wie im Aufnehmenden, die natürlich keineswegs formuliert oder über-
haupt bewußt zu sein brauchen. (Es gibt freilich auch Werte, die nicht so un-
mittelbar empfunden werden, denen eine Reflexion vorhergehen muß, damit man
ihrer inne wird, aber das sind nicht die häufigsten Fälle.) Die Ästhetik als Wissen-
schaft findet Werte, stellt sie fest, beschreibt und erklärt sie, prüft sie allenfalls
auch auf ihre Gültigkeit, aber — sie selber wertet niemals! Das tut etwa die Kritik
oder jeder einzelne Konsument für sich privatim, das tut aber keine Wissenschaft;
 
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