Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0270

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
264 BESPRECHUNGEN.

Nebengedanken bereits entdeckt, als er von der Zumutung sprach, die wir
anderen Beschauern stellen, unser ästhetisches Urteil über ein Werk anzuerkennen.
Aber es gilt nun, und das sah auch Kant, dieses Gefühl der berechtigten Zu-
mutung zu erklären, zu rechtfertigen! Und dazu hat Lalo keinen Ansatz ge-
macht. Ähnlich oberflächlich ist, was Lalo über den Ruhm des Künstlers sagt;
z. B. der Ruhm Wagners bestehe darin, daß es Wagnerianer gäbe. Sieht er nicht,
daß diese Tatsache, daß Wagner viele Anhänger hat, gar keine ästhetische Tat-
sache ist? Das Ästhetische sind die Einzeleindrücke und Einzelurteile, die die
äußere Berühmtheit Wagners begründen. Wenn wir sagen, »es ist und bleibt
der Ruhm Wagners«, so meinen wir damit ein Verdienst, das seine äußere Be-
rühmtheit begründet. Und die Allgemeingültigkeit, die in dem Urteil über ein
solches Verdienst angestrebt oder in Anspruch genommen wird, ist eine ganz
andere Allgemeinheit als die, daß es viele Wagnerschwärmer gibt, von denen
manche noch dazu recht wenig Verständnis haben.

Einen Augenblick, so scheint es, kommt Lalo dem Zentralpunkt näher, nämlich
als er davon spricht, daß wir den ästhetischen Wert immer als einen möglichen
Erfolg vorstellen. In der Tat meinen wir mit der Feststellung eines allgemeiner
gültigen Wertes etwas Ähnliches wie die »dauernden Wahrnehmungsmöglichkeiten«,
wodurch John Stuart Mill in der Erkenntnistheorie den Dingbegriff definierte; aber
es gilt eben zu erklären, wie wir dazu kommen und mit welchem Recht wir es
tun. Jene Verallgemeinerung ist sozusagen die Folge der Wertung, aber nicht
ihre Ursache oder sie selbst. Die Tatsache der Wertung selber enthält nach
psychologischem Befund keineswegs immer bewußte soziologische Elemente; und
sie entwicklungsgeschichtlich, etwa nach Spencerscher Weise, hinein zu erklären,
das wäre genau so vage wie die meisten derartigen Erklärungen. Diese Unter-
scheidungen sind aber noch gar nicht nötig, um Lalo zu kritisieren. Das zeigt die
Tatsache, daß bei ihm eine so naive und unbekümmerte Formulierung möglich ist,
wie: »Der Ruhm ist der Maßstab für den ästhetischen Wert und durch den Ruhm
gewinnt er eine objektive und historische Realität.« Das ist nicht mehr sozio-
logisch, sondern einfach allzu populär gedacht. Zwar hebt auch Lalo gelegentlich
hervor, daß die äußere Anerkennung mehr die Wirkung als die Ursache der eigent-
lichen ästhetischen inneren Bewußtseinsvorgänge ist, und warnt davor, seine Auf-
fassung mit der gröblichen eines banalen Empirismus zu verwechseln; aber er
bleibt wirklich vielfach selber zu grob in seiner Darstellung. Er unterscheidet z. B.
richtige ästhetische Urteile von falschen sehr unzulänglich: je mehr Eindrücke ein
Urteil bestätigen, bis es Tradition ist, desto besser! Gewiß ist eine Wahr-
scheinlichkeit vorhanden, daß ein allgemeiner gültiges Urteil abgegeben wird, wenn
der Urteilende viel gesehen hat, kultiviert und auch im Urteilen geübt ist; so sagt
Sainte-Beuve: »Die wirklich guten Sachen erscheinen immer mehr gut, je mehr
man vergleicht«; aber das ist etwas anderes als was Lalo meint; er ist wirklich
nicht immer auf der Höhe des Niveaus, das ihm in Momenten erreichbar ist, und
er verwahrt sich gegen oberflächliche Auslegungen, gegen die ihn doch seine
eigene Darstellung nicht schützt. Wenn er z. B. sagt: »Der ästhetische Wert ist
nicht, sondern wird oder vollzieht sich, lebt oder stirbt fortwährend«, so ver-
wechselt er Sein mit Dasein, was gerade bei der Frage der Gültigkeit von
Werten besonders schmerzlich ist; was ich vorhin mit dem Worte »Wahrnehmungs-
möglichkeiten« andeutete, das kann man doch in dem eben zitierten Satz Lalos gewiß
nicht etwa ausgedrückt finden. Als Wahrnehmungsmöglichkeit ist der Wert eben,
und der Wert ist auch derselbe, ob er öfter oder nur einmal erlebt wird —
wenn er eben wirklich allgemein gültig ist, so ist er ein für allemal, wenn er auch
 
Annotationen