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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0274

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268 BESPRECHUNGEN.

der Ästhetik und Kunstwissenschaft gewidmet. In ihnen behandelt C. Horst die
Versöhnung zwischen Kunst und Gemeinschaft, W. Kinkel die Ästhetik des reinen
Gefühls, W. Heimsoeth die Objektfrage in der Kantischen Ästhetik und A. Görland
die Schicksalsidee in der Geschichte der Tragödie. Selbstverständlich sind auch
diese Abhandlungen wie die übrigen im Geiste des methodischen Idealismus ge-
halten, den Hermann Cohen als das wahre Erbe Kants entwickelt hat und der das
Glaubensbekenntnis der Marburger Schule bildet.

Von den ästhetischen Beiträgen berührt der Aufsatz Kinkels, der noch vor dem
Erscheinen von Cohens Ästhetik des reinen Gefühls geschrieben wurde, Fragen
von prinzipieller Bedeutung. In ihm untersucht Kinkel einmal die Methode der
Ästhetik und sodann das Verhältnis der Kunst zur Natur und Sittlichkeit. Nach
Kinkel wird die Ästhetik nur dann zu fruchtbaren wissenschaftlichen Resultaten ge-
langen können, wenn sie wiederum an Kant anknüpft und sich dessen transzen-
dentaler Methode bedient. Im scharfen Gegensatz dazu stehen die auf Psychologie
oder gar auf das psychologische Experiment sich stützenden Richtungen in der
Ästhetik der Gegenwart. Die Unhaltbarkeit der experimentellen Ästhetik will der
Aufsatz zunächst erweisen. Denn diese fragt nur herum, was die Menge sagt, was
der Menge gefällt; sie ist nichts anderes als eine erneute Philosophie des gesunden
Menschenverstandes und von der Exaktheit fern, die das auszeichnende Merkmal
der Disziplinen ist, die die Subjektivität der Individuen auszuschalten sich bemühen.
Alle psychologische Ästhetik, sei sie nur experimentell oder introspektiv, bleibt beim
Individuum stehen und kann daher nur zu vagen und zufälligen Verallgemeine-
rungen gelangen. In der Notwendigkeit, beständig eine Anleihe bei dem popu-
lären Bewußtsein zu machen, das dann schließlich der letzte Schiedsrichter wird,
liegt der letzte Grundfehler dieser Richtungen, welcher auch nicht durch Dessoir
und Jonas Cohn überwunden sein soll. Die wahre Ästhetik dagegen geht von der
Grundfrage nach der Möglichkeit des ästhetischen Seins, des Reiches der Schönheit
und der Kunst aus. Sie zeigt, wie die Kunst aus den Stoffgebieten des natürlichen
und sittlichen Seins eine neue eigene Wirklichkeit für das reine Gefühl im Kunst-
werk erzeugt. Indem sie ihre Frage objektiv an die Möglichkeit dieser neuen
Seinsart richtet, vermeidet sie alle Gefahr der Psychologie und des Subjektivismus.
Die Kunst ist wirklich, nämlich in den Werken der großen Künstler: wie ist sie
möglich, d. h. auf welchen allgemeinen Seinsvoraussetzungen des Kulturbewußtseins
der Menschheit beruht sie: das ist das Problem der Ästhetik. In der Kunst handelt
es sich um eine völlige Neuschöpfung der Wirklichkeit aus dem reinen Gefühl der
Humanität heraus. Von diesem Gefühl der Humanität erhält das Kunstwerk seinen
Gehalt. Das Neue der künstlerischen Natur entspringt nicht der Willkür und der
Laune des Künstlers. Indem dieser sein Objekt erzeugt, aber gemäß den Gesetzen
der ewigen Natur und der ewigen Sittlichkeit, wird es ihm zur Sprache des Unsag-
baren, nirgends sonst in der Welt Verwirklichten, nämlich des hehren und reinen
Gefühls der Humanität.

Es ist natürlich nicht möglich, hier in Kürze zu den knappen Ausführungen
Kinkels Stellung zu nehmen. Es darf aber darauf hingewiesen werden, daß seine
Angriffe gegen die psychologische Ästhetik nicht gerade durchgreifend erscheinen;
überdies wird er den einzelnen Vertretern dieser Richtung nicht ganz gerecht; so
hätte beispielsweise, wenn Meumann, als experimenteller Ästhetiker, erwähnt und
abgelehnt wurde, auf dessen besonnene und eingehende Abhandlung über »Die
Grenzen der psychologischen Ästhetik« (in Philosophische Abhandlungen, Max
Heinze gewidmet, Berlin 1906) hingewiesen werden können. Endlich erscheint
das »Gefühl der Humanität« ohne eigentliche methodische Begründung, d. h. recht
 
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