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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0286

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280 BESPRECHUNGEN.

wenn mit ihrer Hilfe alles erklärt werden soll. Ich will hier nur ein besonders
charakteristisches Beispiel geben: große Bedeutung mißt Lipps der Einfühlung in
das numerische Ganze bei. Voraussetzung ist, daß ich die numerische Zusammen-
fassung z. B. der Bäume in meinem Garten vollbringe und dadurch die Anzahl der
Bäume, etwa ihre Siebenheit für mich erst schaffe. Die Eigenart aber dieser nume-
rischen Zusammenfassung, mit anderen Worten die Größe der Anzahl, die Sieben-
heit in unserem Falle, ist doch gegenständlich bedingt. Die Bäume sind für mich
sieben, oder welche Anzahl sie sonst ergeben mögen, auf Grund des Gegebenen
oder des Wirklichen. »Insofern ist der Akt, den ich vollbringe, mir vorgeschrieben,
d. h. seine Eigenart oder sein Ergebnis ist mir vorgeschrieben. Wir fassen zu-
sammen und stellen zwischen dem Zusammengefaßten die numerische Beziehung
her. Dies ist unsere Sache. Das Zusammenfassen und Beziehen ist unser Tun,
und es ist sonst nichts. Zugleich ist doch ihr Ergebnis und damit ihre Eigenart
durch das Wirkliche bestimmt, ist also auch seine Sache. Was wir tun, empfangen
wir zugleich, wir sind rezeptiv dem Ergebnis oder der Eigenart eines spontanen
Tuns gegenüber. Eine Bestimmtheit unser selbst, ein subjektives Moment also,
nämlich eben das Zusammenfassen, ist damit für uns zugleich eine Bestimmtheit
eines Objektes. Und dies ist der Sinn der Einfühlung.« Das Zusammennehmen,
das ich vollbringe, scheint von den Gegenständen selbst vollbracht. »Die Bäume,
die Bücher, die Monde des Jupiter scheinen sich selbst zur Anzahl zusammenzu-
fassen.« »Ich habe den ,Eindruck', als ob sie selbst sich zusammenfaßten. In der
Tat ist es ja so: nicht in Wahrheit, aber doch für mich. Ich kann auch sagen, ich
muß die Zusammenfassung in die Gegenstände hineindenken, wenn ich den Gegen-
ständen, so wie sie jetzt vor meinem geistigen Auge stehen oder für mich da sind,
gerecht werden will. Sie fordern dies von mir, und zwar vermöge ihrer Natur;
d. h. bloß eben darum, weil das Gedachte nicht in Wahrheit, aber jetzt für mich
ein solches ist.« So ist ein spontanes Tun — das Zusammenfassen — hier das
eingefühlte Moment. Stimmt nun nicht aber in dieser Analyse manches sehr be-
denklich ? Gesetzt den Fall, ich stehe vor Bäumen, und ich zähle, daß ihrer sieben
sind; liegt da das Zusammenfassen oder gar das Zählen — unzweifelhaft meine
Tätigkeit — irgendwie in den Bäumen? Nein, keineswegs; die Bäume sind da,
und wenn mich ihre Anzahl interessiert, so zähle ich sie, und sicherlich ist das Er-
gebnis dieses Zählens gegenständlich begründet. Aber das »scheinbare« — oder
wie ich sagen würde: im Eindruck ausgeprägte — Zusammenfassen der Bäume ist
doch etwas ganz anderes als das Numerische, das mit dem Eindruck in diesem
Sinne nichts zu tun hat. Wenn die Bäume als Gruppe wirken, als geschlossene,
einheitliche Masse, oder wenn ihre Äste durch die Linienführung sich ergänzen,
oder sie in den Farben einander das Gleichgewicht halten, dann liegen Zusammen-
fassungen vor. Habe ich eine Birne, einen Schuh und ein Buch, so sind dies drei
Gegenstände, und ich muß, um ihre Dreiheit zu erkennen, sie irgendwie zusammen-
fassen; aber liegt nun dieses Zusammenfassen so in ihnen, wie die Freude oder
der Trotz in einer Miene, die Heiterkeit in einer Landschaft? Muß ich, um den
Bäumen auf einem Felde gerecht zu werden, ihrer Anzahl bewußt werden? Nein,
nur wenn ich zähle, muß ich richtig zählen, sonst werde ich nicht gerecht. Aber
der Eindruck fordert dieses Zählen ebensowenig, wie ein Antlitz heischt, daß man
die Anzahl seiner Furchen errechnet. Und so kann man das Problem von Lipps
anerkennen, daß im Zählen von Gegenständen manche bisher nicht genügend be-
achtete Schwierigkeiten von großer Tragweite stecken, ohne doch die Lösung an-
zunehmen, die meiner Meinung nach den ganzen Einfühlungsbegriff zersetzt. Des-
halb wird auch die Forschung in Zukunft den Weg nehmen müssen, den sie be-
 
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