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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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Erpf, Hermann: Der Begriff der musikalischen Form
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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0362

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356 HERMANN ERPF.

Musiklehre. Es ist in der Tat verständlich, daß um und nach Hans-
lick eine begriffliche Umschreibung des Phänomens der »Form« nicht
erfolgte, weil damals eben diese Grundlage dafür fehlte. Die Musik-
lehre um die Mitte des IQ. Jahrhunderts beschränkte sich fast aus-
schließlich auf ein mehr oder weniger äußerliches Demonstrieren an
Meisterwerken zu Lehrzwecken. Nachdem aber inzwischen sämtliche
Disziplinen der Musiklehre wieder methodisch-wissenschaftlich bear-
beitet und dabei alte, verlorengegangene Erkenntnisse wieder zur
Anerkennung gebracht und weiter ausgebaut worden sind, ist die
nötige Basis für die beabsichtigte Untersuchung gegeben.

Diese soll, wie sich aus dem Vorstehenden schon ergibt, also
durchaus in festem, engem Anschluß an die bestehende empirische
Formenlehre erfolgen und nicht etwa von der Seite der Ästhetik aus-
gehen. Es soll nicht im Anschluß an ein bestimmtes ästhetisches
System dessen Anschauung über Formales auf die Musik übertragen
und angewandt werden, sondern vielmehr umgekehrt: es soll ver-
sucht werden, das Letzte, Zusammenfassende zu sagen, was der Mu-
siker von seinem Standpunkt aus über das vorliegende Problem sagen
kann. So wird dem Ästhetiker Material dargeboten, was er begrüßen
wird, während er einen Eingriff in sein Gebiet zurückweisen müßte.
Ebenso soll nicht untersucht werden, ob und wieweit die zu ent-
wickelnden Formulierungen für andere Künste Sinn und Geltung
haben, da das wieder die Befugnis des Musikers überschreiten würde.
Noch nach einer weiteren Seite hin sei die Aufgabe beschränkt: alle
psychologischen Aussagen, die vorkommen werden, sollen durch-
aus im Sinne der deskriptiven Psychologie verstanden werden.
Es soll nirgends eine »Erklärung« psychischer Phänomene versucht
werden, die allein dem Psychologen zusteht, sondern es sollen nur
psychologische Tatbestände aufgewiesen und beschrieben werden,
deren Nachprüfung durch Selbstanalyse, mit Hilfe welcher sie auch
gefunden wurden, jederzeit möglich ist, und die dem Psychologen
wieder nur als Material zur Einordnung in sein System gegenüber-
treten.

Kurz gesagt: die Untersuchung soll den Charakter einer allge-
meinen Theorie der musikalischen Form tragen und soll die
für die spezielle Formenlehre (im weitesten Sinne) maßgebenden Ge-
sichtspunkte begrifflich herausarbeiten.
 
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