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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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Werner, Alfred: Zur Begründung einer animistischen Ästhetik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0404

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3g8 ALFRED WERNER.

ethische und ästhetische Gefühl in Anspruch nimmt, zu verbinden.
Allerdings muß ein Bewußtsein besondere Bestimmtheiten, demnach
also Bestimmtheitsbesonderheiten aufweisen, um »ästhetisch« genannt
zu werden. Lipps verleitet jedoch zu dem Mißverständnis, als ob
jeder von uns mehrere Bewußtseinswesen aufwiese und nicht — wie
die Erfahrung lehrt — ein einziges Bewußtsein wäre, das in sich einen
Wechsel von Bestimmtheitsbesonderheiten aufweist.

Wenn wir demnach ästhetisches Bewußtsein und ästhetisches Ge-
fühl betrachten, so werden wir allerdings Bestimmtheitsbesonderheiten
dieses Bewußtseins nachzuweisen haben. »Gefühl« nennt nun Lipps
an anderer Stelle1) »das unmittelbare Erleben« der »Zuständlichkeiten
des Ich, wie Heiterkeit, Kummer usw.« ... »Das Gefühl ist ein Be-
wußtseinserlebnis, d. h. ein Erleben, ein Innewerden, allgemeiner ge-
sagt, ein Bewußtsein von etwas«2).

Hieraus ersehen wir zunächt, daß Lipps das Wort Gefühl nur im
Sinne unseres »Zuständlichen« fassen will. Lipps kennt dann aber
eine Unmenge von »Gefühlen«. Er gruppiert sie in der Hauptsache
in Gegenstandsgefühle, Lust-, Unlust- und Quantitätsgefühle, in Misch-
gefühle, Konstellationsgefühle und allgemeine Zustandsgefühle. Ein
Kapitel für sich bilden die Selbstgefühle, die neben den Gefühlen der
»sinnlichen Wahrnehmung« zu den Gegenstandsgefühlen gehören8).

Es ist hier nicht der Ort, auf diese Gefühle einzugehen, da uns
dies von unserem Ziel zu weit abführte. Wir fragen vielmehr, wie
sich Lipps zu unserer ersten Frage stellt, ob unser Bewußtsein im
selben Augenblick Lust und Unlust zugleich aufweisen könne. Die
sogenannten »Mischgefühle« geben uns schon die klare Antwort. Es
heißt bei Lipps: »Diese Lust-Unlust- oder Unlust-Lustgefühle sind eigen-
artig neue Gefühle. Sie können Gefühlsmischungen oder Gefühls-
verwebungen heißen. Sie sind einheitliche Gefühle, in denen aber,
unbeschadet ihrer Einheitlichkeit, beides, Lust und Unlust, als ,Partial-
gefühl' nebeneinander steht; so etwa wie grüngelb eine einheitliche
Farbe ist, die doch das Grün und Gelb in sich unterscheiden läßt.& ...

»Als besondere Arten solcher Mischgefühle seien erwähnt das Ge-
fühl der Rührung, der Wehmut, endlich vor allem das Gefühl des
Humors und der Tragik«4). Der psychologisch nicht geschulte Laie
wird Th. Lipps sofort beipflichten. Wenn er Laura Marholms »Buch
der Frauen« gelesen hat, kann er hier eine Stelle aus Marie Basch-
kirtzews Tagebuch anführen: »Wird man es glauben? Ich finde alles

') Lipps, a. a. O. S. 37 ff.
*) a. a. O. S. 314.
3) a. a. O. S. 314 ff.
") a. a. O. S. 332.
 
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