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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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Werner, Alfred: Zur Begründung einer animistischen Ästhetik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0438

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432 ALFRED WERNER.

damente einer beliebigen Mauer denselben Zweck erfüllen müssen?
Der ästhetische Genuß an dem Danziger Dome liegt vielmehr in der
Vorstellung seiner Gefühlsbeseeltheit. Machtvoll, trotzig überragt der
gewaltige Hauptturm die zierlich schlanken Nebentürme in prachtvollem
Kontrast seiner ernsten, drohenden Haltung zu ihrem heiteren Empor-
streben. Bezeichnet Schopenhauer ferner seine Ideen als »Stufen der
Objektität des Willens«, so haben wir nur ein interessantes Phan-
tasiegebilde vor uns. Das Märchen beginnt mit der psychologischen
Sonderung von Bewußtsein und Wille. Schopenhauer spricht von dem
Willen vor dem Bewußtsein. Wir nennen Wille das sich ursächlich
beziehende Bewußtsein, bei Schopenhauer gilt er als ein »blinder Drang«.
Das, was er in Selbstbeobachtung als Wollen vorfindet, wird ohne
weiteres als Ursprüngliches jedem Einzelwesen, bewußtem und un-
bewußtem, zugeschrieben. Der »Wille« gilt ihm als der Schlüssel zur
Kantschen Philosophie, der das wahre Wesen der Welt, das »Ding an
sich« darstellt. Hält man die philosophisch-poetischen Sprüche Schopen-
hauers gegeneinander, dann sind sie widerspruchsvoll. So ist der Wille
einmal »außer der Zeit und dem Raum« und kennt demnach keine
Vielheit, ist folglich einerx). Wie kommt dann aber dieser eine Wille
dazu, sich selbst in mannigfacher Verschiedenheit zu »objektivieren«?
Und wie ist es möglich, daß wir, die wir doch nach unserem eigent-
lichen Wesen »ewiger Wille« sein sollen, als ästhetisch Genießende
»willenlos« die Ideen anschauen oder gar als Heilige in der Askese
den »ewigen Willen« ertöten? Wie sollte ferner die Erkenntnis unserer
entsetzlichen Unglücksquelle, des einen unvergänglichen, blinden Wil-
lens, so wohlgefällig, so lustvoll sein? Und wenn uns die Kunst das
wahre Wesen der Welt im Sinne Schopenhauers offenbarte, gliche
sie nicht dem Spiegel, in dem der zu ewigen Qualen Verdammte das
eigene, schmerzdurchwühlte Antlitz betrachtet? Hieran Wohlgefallen
zu finden, ist kaum denkbar, oder es wäre perverser, aber nicht ästhe-
tischer Genuß.

*) Schopenhauer, a. a. O. S. 187.

(Schluß folgt.)
 
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